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Die Nidda lebt jetzt wieder! – Die desolate Begradigung in den 60er Jahren hinterließ eine einzige „Unterwasserwüste, die nur wenig Lebensraum bot“

Bad Vilbel. Die Begradigung der Nidda in den 1960er Jahren, als der Fluss von Eschersheim bis Nieder-Florstadt in einen Kanal gezwängt wurde, habe eine „Unterwasserwüste hinterlassen, die wenig Lebensraum geboten hat“, sagt Gewässerökologe Gottfried Lehr aus Bad Vilbel. Nur die anspruchslosen Fischarten, wie Rotaugen und Aale, habe es noch gegeben, die zusammen mit den eingesetzten Karpfen und Goldfischen insgesamt weniger als 10 Arten ausmachten.

Dass heute wieder über 20 Fischarten im Fluss leben, ist Renaturierungen und weiteren Maßnahmen zu verdanken. „Die Nidda zählt zum Einzugsgebiet des Rheins und somit der Nordsee“, sagt Lehr. Dies sei für wandernde Fischarten wie die Meerforelle oder den Aal relevant.

Wenn heutzutage von Renaturierungsmaßnahmen die Rede sei, heiße dies, den Fluss wieder in den Zustand zurückzuversetzen, in dem er vor der Begradigung war. Allerdings sei die Nidda bereits zu Zeiten der Römer vor 2000 Jahren aufgestaut worden. „Fast jeder Ort hatte seine Mühle, wodurch das natürliche Gefälle des Flusses gebrochen wurde.“ Zudem sei die Nidda vor der Begradigung längst nicht so sauber gewesen wie damals angenommen. Erst der Ausbau der Kläranlagen seit den späten 1970er Jahren habe entscheidend zur Verbesserung der Wassergüte beigetragen. Allein dadurch seien wieder Fische zugewandert.

„Fische sind sehr mobil“, erklärt Lehr. So würden sie bei Hochwassern aus Nebenflüssen eingespült. Ohnehin werde bei sämtlichen Maßnahmen deutlich, welch große Rolle auch die kleinen Nebenflüsse der Nidda wie Wetter, Usa und Erlenbach für wandernde Tierarten spielen. Die Möglichkeit, zu mäandern und sich einen natürlichen Verlauf zu suchen, die man dem Fluss durch die Begradigung genommen habe, gebe man ihm durch Renaturierung zurück.

Vielerorts war Lehr in den vergangenen Jahren an diesen Maßnahmen beteiligt, etwa in Bad Vilbel oder in Niddatal. Er macht sich immer wieder auf ans Ufer des Flusses, um mit Begeisterung zu beobachten, wie sich die Natur entwickelt, wenn man ihr eine Chance gibt. So wanderten einige Fische von selbst aus Nebenflüssen zu; andere, die in der Region ausgestorben waren, wurden wieder angesiedelt.

Während Nasen und Barben charakteristisch für Flüsse wie die Nidda seien, handele es sich bei Elritzen und Groppen um empfindliche und seltene Fische, deren Vorkommen ein Indikator für verbesserte Wasserqualität sei. „Über deren Vorkommen in der Nidda staunen Fachleute.“ Barben, die mit ihren so genannten Barteln aussehen als trügen sie Barthaare, bekäme man selten zu Gesicht, da sie sich vorwiegend am Boden aufhielten. Sie laichen im Kies ab, ebenso wie die Nasen, die ihren Namen dem Hubbel auf ihrem Oberkiefer verdanken. Diese Fischart laicht zur Freude von Lehr bereits in der unteren Wetter, der Usa und dem Erlenbach ab. Bei der Elritze handelt es sich um einen Fisch, der für die Eiablage absolut sauberen Kies bevorzugt. Elritzen kommen mittlerweile wieder von Ilbenstadt abwärts in der Nidda vor. Ihre Rückkehr trage zur Stabilisierung der Artengemeinschaft im Fluss bei, wo in früheren Zeiten die anspruchslosen Fische dominierten. Auch für einen Fachmann wie Gottfried Lehr, der sich seit Jahren mit der Tier- und Pflanzenwelt an und in der Nidda beschäftigt, hält die Natur noch Überraschungen bereit.

„So eine schnelle Besiedelung wie in Ilbenstadt habe ich noch nicht erlebt“, sagt er nach Abschluss der Renaturierung im vergangenen Jahr. Der Abschnitt fügt sich in jene zwölf Kilometer ein, die in den vergangenen Jahren an und in der Nidda auf ihrem 90 Kilometer langen Lauf vom Vogelsberg bis zur Mündung in den Main bei Höchst schon renaturiert wurden.

Wie kaum ein vergleichbarer Fluss in Deutschland könne die Nidda über eine lange Strecke ohne Einschränkungen wie Wehre frei fließen. Hierin sieht der Bad Vilbeler Gewässerexperte ein großes Potential für die weitere Entwicklung. Die Meerforelle, der „Lachs der Wetterau“, wandere von der Nordsee in die Seitengewässer des Rheins. Da auch sie als Indikator für eine gute Gewässerqualität gilt, wünscht sich Lehr, irgendwann in der Zukunft ihr Vorkommen in der Nidda bekannt geben zu können.