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Strafe für nächtlichen Unfug – „Marktfrau Marie“ und „Posthalter Wilhelm Simon“ plauderten aus dem Vilbeler Nähkästchen

Bad Vilbel. Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Passanten wurde Brautpaaren kürzlich an einem Samstagnachmittag streitig gemacht. Unter dem blühenden Rosenbogen vor dem Alten Rathaus kreuzte ernst zu nehmende Konkurrenz auf. In historische Kostüme gekleidet standen dort „Marktfrau Marie“ (Marlene Schröder-Greim) und „Posthalter Wilhelm Simon“ (Peter Schöttner). Die redselige Marktfrau war im feschen Outfit des Jahres 1830 zum Date erschienen. Ihr ebenso mitteilsamer Begleiter trug die Uniform des letzten Vilbeler „großherzoglichen hessischen Postboten“ Wilhem Simon aus dem Jahre 1818.

Das von den Schneiderinnen der Burgfestspiele schick eingekleidete Paar nahm 13 Interessenten mit auf einen kurzweiligen Spaziergang quer durch die Innenstadt. Die Stadtführung stand unter dem Motto „von Kaufleuten, Rittern und mutigen Bürgern“. Stationen des zweistündigen Rundgangs waren Orte, an denen Geschichten, Anekdoten und Begebenheiten von einfachen Leuten und „Großkopferten“ ihren Ausgang genommen hatten.

Neben honorigen Leuten wusste das Paar auch von solchen mit zweifelhaftem Charakter wie dem Stadtrechner Konrad Jakob zu berichten. Dieser war am 21. Oktober 1849 mit einem Begleiter nach Friedberg aufgebrochen, um die Gemeindeeinnahmen abzurechnen. In einem Lederbeutel trug er 16 000 Gulden bei sich. Während der Rast im Wirtshaus „Zum Hirschen“ verschwand er spurlos mit dem Geld. Auch ein am 1. November veröffentlichter Steckbrief nach einen 43-jährigen, sieben Fuß großen Mann mit flacher Stirn und struppigem Haar blieb ohne Resultat. Die Zeche für den untreuen Stadtrechner zahlten seine Frau und sein Sohn. Der Besitz der Familie wurde versteigert.

Erfreulicheres zu berichten gab es dagegen von Carl Brod. Der geschäftstüchtige Kaufmann bohrte auf seinem Grundstück am Marktplatz 11 in 75 Metern Tiefe, nach Anleitung aus einem Handbuch, am 21. Juli 1900 einen Mineralbrunnen. Mit dem Wasser als Grundlage begründete er den Heilbadbetrieb mit Trinkkuren für Blutarme.

Aus den Badebüchern seiner vier Töchter geht hervor, dass allein 1902 bei ihm 55 Offiziere und 20 Unteroffiziere aus Frankfurt in Vilbel badeten. Carl Brod wollte aufgrund des florierenden Betriebs ein großes Badehaus in der Burg errichten. Als ihm dies verwehrt wurde, verhandelte er mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Adickes über den Verkauf seiner Quelle an Frankfurt. Der Erste Weltkrieg verhinderte den Deal. Die Quelle versiegte 1935 und Brod starb in ärmlichen Verhältnissen.

Weiter ging es auf dem Stadtrundgang über die Nidda-Brücke, auf der bis 1841 noch Wegezoll zu entrichten war, zur Wasserburg. Von ihrem Turm aus hielt im 14. Jahrhundert Raubritter Bechtram Ausschau nach Kaufleuten, welche die Brücke passieren mussten. Als Bestrafung für seine Überfälle wurde die Burg 1399 erstmals zerstört. In ihrem heutigen Zustand befindet sie sich seit 1959.

Dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen wie Arbeitslosigkeit, Inflation und Weltwirtschaftskrise verdankt die Stadt durch das Ende der Gärtnerei Siesmayer ihren Kurpark. Heinrich Siesmayer (1817 bis 1900), hatte mehr als 1000 Gartenanlagen im In- und Ausland gestaltet. Am Südbahnhof betrieb er einen riesigen Gartenbetrieb mit mehr als 200 verschiedenen Koniferen-, 500 Baum-, 1500 Strauch-, je 100 Beeren- und Rosenarten und vielem mehr. Da aus den genannten Gründen mehrere Jahre nichts verkauft werden konnte, wuchsen die Pflanzen zu hoch. Die Versuche der beiden Söhne das Unternehmen zu retten scheiterte, der Konkurs 1931 konnte nicht mehr abgewendet werden. So stellten sie der Stadt die Setzlinge unterschiedlichster, seltener Baumarten für die Bepflanzung des Kurparks zur Verfügung.

Eine von vielen schönen Geschichten des Rundgangs ist jene der Sprudel-Apotheke. Als vor etwa 100 Jahren der Apotheker Mettenheimer das von seinem Vorgänger Eisenhut 1843 errichtete und baufällig gewordene Gebäude abreißen ließ, stand eine prächtige Akazie im Hof dem Bau des heutigen Jugendstil-Gebäudes im Weg. Zwei Tage sägten zwei Kerle aus der Arrestzelle daran, doch nichts bewegte sich. Da beschloss Mettenheimer, den Baum heimlich nachts zu sprengen. Er bohrte Löcher fürs Dynamit und zündete es. Zwei Polizisten, die auf ihrer Nachtstreife an der Friedberger Straße vorbeikamen, flogen aus einer Stichflamme Holz und Erde um die Ohren. Ein langer Rechtsstreit darüber, wie diese Tat zu ahnden sei, endete mit einer Ordnungsstrafe über sechs Mark wegen groben nächtlichen Unfugs. Eine Akazie wurde auf dem Grundstück bis heute nicht mehr gepflanzt.

Die nächste Stadtführung mit Marktfrau Marie und Posthalter Wilhelm Simon findet am Samstag, 2. August, statt. Treffpunkt ist um 15 Uhr vor dem Alten Rathaus. Marlene Schröder-Greim schlüpft wieder in das Kostüm der Marktfrau, begleitet wird sie diesmal von Dr. Michael Bender als Posthalter. Die Teilnahme kostet 3, ermäßigt 2 Euro.