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Wo sich Barrieren auftun

Rollstuhlfahrer testet öffentliche Verkehrsmittel – und ärgert sich über die S-Bahn

Ohne Hilfe geht nichts: Für Rollstuhlfahrer ist der Abstand zwischen Zug und Bahnsteigkante ein beträchtliches Hindernis. -foto: Pegelow
Ohne Hilfe geht nichts: Für Rollstuhlfahrer ist der Abstand zwischen Zug und Bahnsteigkante ein beträchtliches Hindernis. -foto: Pegelow

Rollstuhlfahrer, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Karben nach Frankfurt fahren wollen, kommen nicht weit. Während in den Linienbussen kein Wunsch unerfüllt bleibt, endet die Fahrt leider oft an den S-Bahnhöfen. Das hat jetzt eine Testfahrt gezeigt.

Karben. Reiner Weber ist auf den Rollstuhl angewiesen. Der 64-Jährige ist vor zehn Jahren vom Dach gestürzt und hat sich dabei so schwer verletzt, dass er teilweise gelähmt ist. Durch hartes Training in der Bad Nauheimer Sportklinik kann der Wölfersheimer „wenigstens ein bisschen gehen“. Jedenfalls so weit, dass er in den Fernzügen der Deutschen Bahn „nicht im Fahrradabteil mitfahren muss“, wie er sagt.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt er aber trotzdem nur mit Begleitperson. Eigentlich wäre er gern häufiger mit Bus und Bahn unterwegs, „aber weder in Wölfersheim noch in Melbach ist das möglich“, sagt er. Weder die Haltestellen noch die Busse seien für Rollstuhlfahrer geeignet.

Weber ist Mitarbeiter der VdK-Kreisvorsitzenden Ellen Benölken in Friedberg. Die Karbenerin steht seit geraumer Zeit an der Spitze derjenigen, die die mangelnde Barrierefreiheit der Karbener Bahnhöfe kritisieren. Auch die Kommunalpolitik hat sich mit dem Problem mehrmals befasst. Gerade der zentral gelegene Groß-Karbener Bahnhof ist in Richtung Frankfurt nicht barrierefrei.

Hier hätten nicht nur Rollstuhlfahrer, so die Kritik, sondern auch Mütter mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollator Probleme. Denn es gibt weder eine Rolltreppe noch einen Aufzug. Allerdings ist der Zugang nach Frankfurt am Okarbener Bahnhof barrierefrei. Dorthin fährt die Stadtbuslinie 76. Weil zumindest dieser Bahnhof für Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe erreichbar ist, empfiehlt die Stadt offiziell diesen Weg.

Testfahrt gestartet

Eine Testfahrt sollte klären, ob die offizielle Empfehlung tatsächlich praktikabel ist. Deshalb haben Benölken und Weber zusammen mit dem städtischen Verkehrsbeauftragten Ekkehart Böing und unserem Redakteur die Probe aufs Exempel gemacht.

Der erste Einstieg ist die barrierefrei ausgebaute Haltestelle am Bürgerzentrum. Pünktlich rollt der Stadtbus der Firma Eberwein an die Haltestelle. Fahrer Ralph Wieja sieht den Rollstuhlfahrer, senkt das Fahrzeug zur Haltestellenseite hin ab, steigt aus und klappt die Rampe am Mittelausstieg heraus. Es dauert keine 15 Sekunden, dann kann Reiner Weber selbstständig in das Fahrzeug hineinrollen.

Die Rampe ist rasch wieder eingeklappt, der Bus wird wieder auf Normalhöhe gebracht, und los geht die Fahrt. Weber hat ausreichend Platz im Mittelteil. Der Bedienknopf für das Stoppsignal ist für ihn bestens zu erreichen. „Das ist hier alles wunderbar gelöst“, sagt der 64-Jährige.

Der Bus fährt seine Route vorbei am Jugendkulturzentrum, dann nach Okarben hinein und an mehreren Haltestellen dort vorbei. Ein- und Aussteigen will niemand. Das wundert nicht, denn die Linie 76 wird nicht besonders gut angenommen. Dazu ist noch Ferienzeit. „Etliche Schüler fahren sonst schon mit“, weiß Böing.

Am Bahnhof Okarben steigt Wieja aus, klappt die Rampe wieder aus, und flugs ist Reiner Weber draußen. Jetzt rollt er selbstständig an Bahnsteig 2: „Richtung Frankfurt“ steht dort. Vier Minuten beträgt die Umstiegszeit zwischen Ankunft des 76er Busses und der Abfahrt der S-Bahn. Genug Zeit also, den Bus zu verlassen und auf den Bahnsteig zu kommen.

Gefährlicher Abstand

Dann fährt die S 6 ein, die Türen öffnen sich. Und dann das: Es gibt einen beträchtlichen Höhenunterschied, auch der Spalt zwischen S-Bahnwagen und Bahnsteigkante ist groß. Ohne fremde Hilfe könnte Reiner Weber mit den Vorderrädern in den Spalt gelangen – eine gefährliche Situation.

„Allein zu reisen könnte ich hier also vergessen“, sagt er betrübt, als sich die Türen schließen und die S 6 nach Frankfurt abfährt. So geht es mit der Linie 76 zurück zum Bürgerzentrum. „Vorbildlich, die Stadt Karben“, sagt er zu den Busfahrten. Ekkehart Böing hört es gerne. Er kündigt an, dass auch die Haltestellen in Klein-Karben in den nächsten Monaten barrierefrei umgebaut werden.

„Aber in Sachen Bahnhöfe müssen wir nachhaken“, bilanziert die VdK-Vorsitzende. Für den 31. August hat sie zu einer Podiumsdiskussion ins Karbener Bürgerzentrum eingeladen. Ein Vertreter der Bahn habe bereits zugesagt.