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Gottesdienst gegen die Resignation

Es ist schwierig für die Conti-Beschäftigten während der Pandemie gegen den Arbeitsplatzabbau zu protestieren, ein Gottesdienst vor den Werkstoren ist eine Chance. Foto: Schenk
Es ist schwierig für die Conti-Beschäftigten während der Pandemie gegen den Arbeitsplatzabbau zu protestieren, ein Gottesdienst vor den Werkstoren ist eine Chance. Foto: Schenk

Karben. Überall in Karben leuchten jetzt die Lichter zur Adventszeit. Nur im Continental-Werk scheinen sie langsam auszugehen. In vier Jahren soll es dann ganz dunkel werden. So hat es der Aufsichtsrat im September beschlossen. 1100 Beschäftigte gehen in eine ungewisse Zukunft. Am Sonntag haben sie einen Gottesdienst vor den Werkstoren gefeiert.
Seit dem Bekanntwerden der Hiobsbotschaft Anfang September bahnen sich Wut und Existenzsorgen der Conti-Mitarbeiter in mehreren Aktionen ihren Weg. Betriebsrat und Belegschaft haben sich noch nicht völlig aufgegeben. Doch ist die Corona-Pandemie alles andere als ideal für Protestkundgebungen.
Am zweiten Adventssonntag konnte vor den Toren der Conti-Produktionsstätte an der Dieselstraße trotzdem eine Veranstaltung sein. Und die kam im Gewand eines Gottesdienstes daher. Die Gesamtkirchengemeinde Karben, das evangelische Dekanat Wetterau und die katholische Betriebsseelsorge Oberhessen hatten zur ökumenischen Zusammenkunft eingeladen. Das Motto »Lasst euer Licht leuchten« war angelehnt an einen Vers aus dem Matthäus-Evangelium. 100 Menschen durften gemäß den Corona-Bestimmungen teilnehmen.
Rote Karten
Wie nicht anders zu erwarten war, stand ein Gottesdienst der besonderen Art an. Die Straße war abgesperrt worden. Vor dem Eingangstor standen Stühle, auf denen eine Rote Karte für das Konzern-Management und ein Schokoladennikolaus lagen. Die sinnbildliche Rote Karte kann von jedermann als Statement an die Geschäftsführung nach Hannover geschickt werden. Nicht alle Anwesenden schienen mit dieser Form von »Meinungsbildung« als Teil eines Gottesdienstes einverstanden zu sein.
Pfarrer Werner Giesler aus Klein-Karben sprach zur Begrüßung von einem »ungewöhnlichen Ort, der aber in diesen Zeiten genau der richtige ist«. Gott wolle nicht, dass das von ihm gegebene Leben durch Sorgen erdrückt werde, sagte er.
Der Platz der Christen sei auch auf der Straße, wenn es um Solidarität gehe. »Und das Recht auf Arbeit ist eine Selbstverständlichkeit in unserer Gemeinschaft. Das ist wie eine Richtschnur des Seins auf der Erde. In dieser Zeit müssen wir versuchen, allem Rechnen und Kalkulieren und aller Profitmacherei mit Menschlichkeit zu begegnen«, erklärte Gießler.
Bürgermeister Guido Rahn (CDU) war ebenfalls ins Industriegebiet gekommen, um sich an die Menschen zu wenden. Er freute sich über die auf verschiedenen Ebenen gezeigte Solidarität mit den Beschäftigten und lobte deren gute Arbeit. Wo so etwas der Fall sei, müsse ein Werk weiterbestehen, forderte Rahn. Auch das Engagement der Kirche hob er in der gegenwärtigen Situation hervor. »Kirche darf sich ruhig einmischen, Kirche muss sich jetzt zeigen«, lautete sein Aufruf. Gleichzeitig sind ihm selbst und der Kommunalpolitik aber die Hände gebunden.
Wolfgang Dittrich, Referent beim evangelischen Dekanat Wetterau, und Richard Kunkel von der katholischen Betriebsseelsorge Oberhessen gestalteten mit Pfarrer Giesler zusammen den Gottesdienst. Musikalisch unterstützt wurden sie von vier Bläsern der Musikschule Bad Vilbel/Karben.
Im Anschluss betonten Conti-Betriebsrat Frank Grommeck und IG-Metall-Bevollmächtigter Michael Erhardt, dass der Kampf für das Karbener Werk nicht zu Ende sei. Betriebsrat und Belegschaft stünden Seite an Seite. »Zum Schluss werden wir ein gutes Ergebnis für alle hinkriegen«, ist Gewerkschafter Michael Erhardt überzeugt.
Von Jürgen Schenk