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»Ich hasse die Russen nicht«

Tränen ja, untätig sein nein. Oksana Ebert bleibt authentisch und hilft ihren ukrainischen Landsleuten, wo sie kann. Foto: Schenk
Tränen ja, untätig sein nein. Oksana Ebert bleibt authentisch und hilft ihren ukrainischen Landsleuten, wo sie kann. Foto: Schenk

Karben. Oksana Ebert möchte ihre Tränen nicht verbergen. »Dazu stehe ich, so bin ich«, sagt die gebürtige Ukrainerin, die in Groß-Karben lebt. Wenn sie in diesen Tagen über ihre Heimat spricht, wird ihr Herz schwer. Trauer und Ratlosigkeit bedrücken sie, rauben ihr nachts den Schlaf.
Besser geht es ihr nur, wenn Oksana Ebert ihren Gefühlen freien Lauf lassen kann. Oder wenn sie die vertraute Stimme ihrer Mutter am Telefon hört und erfährt, dass ihre Lieben in der Ukraine noch leben. »Ich möchte meine Verwandtschaft so gerne hierher holen«, erzählt Oksana. »Hier wären sie doch wenigstens in Sicherheit. Aber es ist zwecklos. Meine Oma ist schon 90 Jahre alt. Niemand von ihnen will das Land verlassen.«
Die Blumen auf dem Wohnzimmertisch sind noch von Oksanas Geburtstag. Zum Feiern sei ihr aber nicht zumute gewesen, sagt sie. »Die Blumen sind schön. Noch schöner wäre es aber gewesen, wenn ich beim Aufwachen gemerkt hätte, dass der Krieg nur ein böser Traum ist.«
Kontakt ins
Dorf ihrer Familie

Und schon ist er da, der Kloß im Hals, den man nicht einfach herunterschlucken kann. Emotional wird es auch, als die zweifache Mutter aus Groß-Karben über den Mut und die Tapferkeit ihrer Landsleute in den umkämpften Gebieten spricht. »Der Zusammenhalt ist unbeschreiblich. Viele Menschen stehen jetzt füreinander ein und wollen gemeinsam das Land verteidigen. Und alle sprechen wieder Ukrainisch, unsere Sprache verstehen die Russen nämlich nicht.«
Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf in der Westukraine, 20 Kilometer von der weißrussischen und 50 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Der Krieg, zumindest am Boden, ist noch ein Stück weit weg. Bisher wurden hauptsächlich militärische Ziele in dieser Region aus der Luft angegriffen. Einmal flog eine Rakete in die Nähe des Dorfes. »Noch ruhig« nennt man so etwas in einem von Bombardements schwer gezeichneten Land.
Seit 16 Jahren lebt Oksana Ebert mit ihrer Familie in Karben. Viele kennen sie als Leiterin der Kleinkindertagesstätte im Mütter- und Familienzentrum in Burg-Gräfenrode. An tröstenden Worten mangelt es ihr nicht. Zuspruch kommt von ihrem Ehemann und aus einem großen Freundeskreis. Auch die Arbeit mit den Kleinen dürfte tagsüber für Ablenkung sorgen.
Als Muttersprachlerin in Arbeitskreis
Trotzdem berichtet die Erzieherin von dem Gefühl, für die Menschen in ihrer Heimat und für die von dort Geflüchteten aktiv werden zu müssen. Als Muttersprachlerin fällt ihr dabei in Karben eine wichtige Rolle zu. Sie gehört zu einem Arbeitskreis, der zur Versorgung der Flüchtlinge ins Leben gerufen wurde. Doch manchmal würde sie am liebsten selbst mit der Waffe in der Hand für die Freiheit ihres Heimatlandes kämpfen. So wie es viele andere ukrainische Frauen jetzt auch tun.
»Die Russen haben gedacht, dass sie unser Land im Blitzkrieg erobern können«, ist sich Oksana sicher. »Mit ihren Panzern wollten sie einfach bis Kiew durchrollen. Das hat aber nicht geklappt.« Dann füllen sich ihre Augen erneut mit Tränen. »Ich hasse die Russen nicht, ich kann sie gar nicht hassen. Ebenso wie Weißrussland stehen sie uns eigentlich sehr nahe. Nur Putin muss weg, denn er ist ein zweiter Hitler. Ich bete, dass die Menschen in Russland endlich aufwachen und verstehen, was in der Ukraine geschieht.«
In Karben, circa 1550 Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt, beginnt jetzt die Koordination von Hilfsgütern und Geldspenden. Vorab gibt es neue Informationen aus dem Gesprächskreis, zu dem auch Oksana Ebert gehört. »Geflüchtete sollten sich auf jeden Fall beim Einwohnermeldeamt in Karben melden«, rät sie. »Wer registriert ist, erhält Schutzstatus. Online kann ein Termin für die Folgewoche vereinbart werden. Die Anmeldung ist vorteilhaft für Versicherungsleistungen, Arztbesuche und Kinderbetreuung.« So sei der Schulbesuch für schulpflichtige Kinder nur mit Anmeldung möglich. Außerdem wolle man durch öffentliche Bekanntmachungen zukünftig speziell auf die Bedürfnisse der nach Karben geflüchteten Familien hinweisen.
Im nächsten Jahr wollen die Eberts wieder in die Ukraine reisen und Oksanas Verwandte besuchen. Dafür betet die Frau. »Als wir geheiratet haben, hat mein Mann auch meine Familie in der Ukraine mit geheiratet. Er und meine beiden Söhne lieben dieses Land.« Von Jürgen Schenk

Spenden und Unterkünfte
Spenden helfen, das Leid der betroffenen Menschen zu lindern. Geldspenden können u.a. an folgende Vereine überwiesen werden: Rhein-Dnipro Deutsch-Ukrainischer Verein, IBAN: DE80 5775 1310 1000 3780 40, Homepage: www.rhein-dnipro. de; Marburg Oboz Plus e.V., IBAN: DE78 5335 0000 0000 1009 00, Homepage: www.oboz-plus.de; OBOZ Humanitäre Hilfe für die Ukraine (Geldspenden für Medikamente und Verbandsmaterial), IBAN: DE43 4401 0046 0257 1314 60; Humanitas-Ukraine Verein, IBAN: DE62 2019 0109 0003 2625 90.
Über das Generalkonsulat der Ukraine in Frankfurt können Unterkünfte für Geflüchtete angeboten werden: https:/ /ukraine-frankfurt.de/index.php/de/ (jüs)