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„In jedem Christen steckt ein kleiner Jude“

Rabbiner Andrew Steiman spricht über die Wurzeln christlicher Identität

Rabbiner Andrew Steiman (links) sprach über Gemeinsamkeiten von Christentum und Judentum. Rechts Hartmut Polzer von der Initiative Stolpersteine. Foto: Krejcik
Rabbiner Andrew Steiman (links) sprach über Gemeinsamkeiten von Christentum und Judentum. Rechts Hartmut Polzer von der Initiative Stolpersteine. Foto: Krejcik

Die Initiative Stolpersteine und die evangelische Kirchengemeinde Klein-Karben hatten zum Themenabend die „Wurzeln der christlichen Identität“ mit Rabbiner Andrew Steiman eingeladen. 50 Besucher folgten dem Abend mit großem Interesse.

Karben. Seit mehr als 1700 Jahren leben Juden in Mitteleuropa. Dennoch werde das Judentum in Deutschland oftmals als etwas Fremdes empfunden, sagte Hartmut Polzer von der Initiative Stolpersteine in Karben einleitend. Dabei seien einige christliche Werte, Bräuche und Feiertage vom Judentum übernommen worden.

Referent des Abends war der Frankfurter Rabbiner Andrew Steiman. In Karben zu sein, sei für ihn ein „Heimspiel“, sagte Hartmut Polzer von der Initiative Stolpersteine. So sei der Rabbiner 2007 erstmals in Karben gewesen und habe seither alle Stolperstein-Verlegungen begleitet. Von den 82 Millionen Bundesbürgern seien 80 000 Juden, schätzte Steiman. In den folgenden eineinhalb Stunden gab er Einblicke in die Geschichte und Theologie von Judentum und Christentum. Dabei stellte der Rabbiner heraus, dass sich das Christentum aus dem Judentum entwickelt habe. Das Christentum sei als eine Art Synthese entstanden, wobei auch griechische und heidnische Einflüsse eine Rolle gespielt hätten. Andrew Steiman stellte Verbindendes, aber auch Trennendes zwischen diesen beiden Religionen heraus. So bildeten heidnische Erntedankfeste historisch die Grundlage für die drei großen Feste, die sowohl im Christentum als auch im Judentum gefeiert würden, wenn auch unterschiedlich.

Steiman zeigte Parallelen und Unterschiede zwischen den christlichen Festen Ostern, Pfingsten und Weihnachten sowie den jüdischen Festen Pessach, Schawuot und dem Laubhüttenfest auf, die in etwa zeitgleich gefeiert würden.

Steiman spannte den Bogen zur Bedeutung von Identität in der Gegenwart. Identität sei „etwas sehr Wichtiges“, so Steiman. Doch wenn Identität „schwammig“ werde, suchten sich die Menschen neuen Halt. Manche glaubten, einen Halt bei Gruppen wie Pegida zu finden, so der Rabbiner. „Hier sind die christlichen Kirchen gefordert, den Menschen wieder einen starken Rückhalt zu geben“, sagte er. Denn Menschen „ohne Religion und Rückhalt“ seien anfällig für Radikalisierungen.

Identität werde „transportiert durch Ereignisse wie gesellschaftliche Feste, aber auch durch den individuellen Lebenszyklus und damit verbundene Ereignisse wie Geburt, Taufe, Hochzeit und Beerdigung“, erklärte Steiman. „In jedem Christen steckt ein kleiner Jude; es wäre schön, wenn er sich mit dem kleinen Juden versöhnt, auch um mit sich selbst Frieden zu machen.“ Es sei wichtig, die Wurzeln der eigenen Religion zu kennen. (kre)