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Pfarrerteam auf neuen Wegen

Ganz gleich, ob von Okarben oder Rendel aus: Mit dem Rad ist Roggau gut zu erreichen, sagen Pfarrerin Nadia Burgdorf und Pfarrer Eckart Dautenheimer beim Treffen vor der Oberburg. Foto: Sauer
Ganz gleich, ob von Okarben oder Rendel aus: Mit dem Rad ist Roggau gut zu erreichen, sagen Pfarrerin Nadia Burgdorf und Pfarrer Eckart Dautenheimer beim Treffen vor der Oberburg. Foto: Sauer

Karben. Gerade war Reformationstag. Die Kirche ist im Wandel. Was bedeutet »Reformation« in Zeiten schwindender Mitglieder? Ein Gespräch mit Pfarrer Eckart Dautenheimer (61) und Pfarrerin Nadia Burgdorf (35). Auf beide kommt ein Wandel zu. Dautenheimer wird nun auch für Petterweil zuständig sein, Burgdorf für Burg-Gräfenrode.

Die Zuständigkeiten in der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Karben werden neu sortiert: Pfarrer Eckart Dautenheimer (61) wird außer Okarben künftig auch für Petterweil – als neues Mitglied im Verbund – zuständig sein. Seine bisherige Stelle in Burg-Gräfenrode übernimmt außer der Betreuung von Rendel Pfarrerin Nadia Burgdorf (35). Ein Gespräch über Abschied und Ankommen, über die größte Herausforderung für die Karbener Kirche 2024 – und die Bedeutung von »Reformation« in Zeiten schwindender Mitglieder.
Zum Jahresbeginn erhalten mit Petterweil und Burg-Gräfenrode gleich zwei Karbener Stadtteile »neue« Pfarrer. Wie groß ist die Veränderung wirklich?
Eckart Dautenheimer: Üblicherweise gibt es eine große Feier mit hohem Besuch, wenn ein Pfarrer die Stelle wechselt. Das werden wir nicht machen – und das ist aus unserer Sicht ein Zeichen. Aber natürlich ist es doch eine Veränderung: Ich war zwölf Jahre für Roggau zuständig, in dieser Zeit sind viele Beziehungen entstanden.
Nadia Burgdorf: Ich habe ich Nachrichten aus Roggau erhalten wie: »Schön, dass du jetzt unsere Pfarrerin bist!« Meine Antwort war: »Das war ich doch schon vorher.« Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich in eine neue Gemeinde komme – so, wie ich das vor fünf Jahren hatte, als ich neu in Karben war. Nach Roggau habe ich schon Bezüge, ich kenne die Menschen.
Nichtsdestotrotz: Als Roggauerin kenne ich die Sicht, dass die Mitbetreuung durch den Okarbener Pfarrer quasi aus der »Nachbarschaft« kommt, Rendel aber gefühlt »das andere Ende von Karben« ist…
Burgdorf: Gefühlt ist das sicher so, ja. Aber ich bin eben mit dem E-Bike nach Roggau gekommen – in 18 Minuten. Mit dem Auto mag Rendel das andere Ende von Karben sein, mit dem Rad über den Wald ist es durchaus nah.
Dautenheimer: In der Tat ist Rendel keinesfalls der am weitesten entfernte Stadtteil. Hinzu kommt, dass die Fahrt nach Petterweil mit dem Rad für mich von Okarben aus ebenso gut machbar ist wie nach Burg-Gräfenrode – für Nadia aus Rendel wäre Petterweil hingegen sowohl mit dem Rad als auch mit dem Auto viel weiter.
Was bedeutet die Neuordnung für Sie beide – außer den neuen Wegen per Rad – ganz persönlich?
Burgdorf: Ich stocke meine Arbeitszeit von einer halben auf eine volle Stelle auf. Das ist mit Blick auf die Familie – mein Mann und ich haben dann beide zwei volle Pfarrstellen und da sind unsere Kinder – durchaus eine Herausforderung. Auch wenn ich schon heute in vielen Bereichen mehr als eine halbe Stelle arbeite.
Dautenheimer: Als Kollege würde ich sagen, dass du schon immer eine Vollzeitstelle geleistet hast!
Burgdorf: Ich freue mich unheimlich auf das, was hinzukommt. Die Aufgaben, für die ich als Seelsorgerin zuständig bin – von der Taufe bis zur Beerdigung –, bereiten mir große Freude und ich bin dankbar, dann auch die Roggauerinnen und Roggauer in diesen Momenten begleiten zu dürfen.
Dautenheimer: Ich bin seit 27 Jahren in Karben, auch Petterweil ist mir vertraut. Ich hatte dort sogar schon einmal eine Vakanz-Vertretung und kenne Kirchenvorstand, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Landfrauen – ich treffe also auch auf viele vertraute Gesichter. Eine große Herausforderung wird für mich sein, Petterweil in die Gesamtkirchengemeinde zu integrieren.
Inwiefern?
Dautenheimer: Wir anderen Stadtteile haben bereits drei Jahre Erfahrung, was die Organisation als Gesamtkirchengemeinde bedeutet – beispielsweise, dass nicht mehr jeder Gottesdienst im eigenen Stadtteil stattfindet. Im nächsten halben bis dreiviertel Jahr wird sich zeigen, wo Kompromisse nötig werden – sowohl für den Ortsteil Petterweil als auch für die Gesamtkirchengemeinde und für mich als Person. Das könnte mitunter schmerzhaft werden.
Ein Beispiel sind die Gottesdienste, die möglicherweise neu verhandelt werden müssen.
Dautenheimer: Der Kirchenvorstand hat beschlossen, dass ich sonntags erst um 10 Uhr in Okarben und dann um 11 Uhr in Petterweil Gottesdienst halte, und das geht auch sehr gut. Aber spätestens an den Festtagen wird es eng.
Burgdorf: Das wird für mich auch neu sein.
Dautenheimer: Es ist eine Herausforderung für uns als Pfarrpersonen, die vielen Dienste an den Feiertagen mit unseren Familien auszuhandeln.
Burgdorf: Ich würde in Roggau gern ausprobieren, Abendgottesdienste anzubieten, zum Start möglicherweise einmal im Monat. Das könnte für die Gemeinde eine Bereicherung sein – und für mich persönlich eine Möglichkeit, vor und nach dem Gottesdienst auch Zeit fürs Gespräch zu haben.
Die Überführung in die Gesamtkirchengemeinde war ein nicht immer einfacher Prozess. Wie sehen Sie, Herr Dautenheimer, nun Ihre Position, auch in Petterweil ein Stück weit diese »Reformation« federführend zu begleiten?
Dautenheimer: Ich sehe, dass ich viel Erfahrung – sowohl aus meinem gesamten Berufsleben als auch aus den vergangenen Jahren – mitbringe und bin daher positiv gestimmt. Ich freue mich, diesen Weg zusammen mit den Petterweilerinnen und Petterweilern zu gehen. Auch, weil ich positive Zeichen bekommen habe: Beweglichkeit und Offenheit, Neues auszuprobieren, sind vorhanden.
Burgdorf: Für das Pfarrteam kann ich gestehen, dass wir froh waren, dass Eckart Dautenheimer als erfahrenster Kollege diese Position übernimmt.
Dautenheimer: Aber natürlich habe ich auch mit meiner Erfahrung im Gepäck Bammel. Es wird Situationen geben, in denen ich möglicherweise Grenzen ziehen und damit Menschen vor den Kopf stoßen muss, das bereitet mir durchaus Sorge.
Geben Sie doch mal einen Einblick in Ihre »Übergabe«: Was zeichnet die Roggauer als Völkchen aus?
Burgdorf: Da habe ich natürlich schon ungefragt ganz viele Tipps bekommen – vor allem von Rendelern! Spaß beiseite: Eine Übergabe, worauf ich in Roggau zu achten hätte, machen wir beide gar nicht. Mir ist wichtig, meine eigene Perspektive auf Dinge und Menschen zu haben und zu gewinnen.
Dautenheimer: Die Roggauer Gemeindearbeit ist in hohem Maße geprägt vom Seniorenkreis: Dieser ist wirklich außerordentlich lebendig und mit hohem Engagement gestaltet, ein wahrer »Premium-Seniorenkreis«. Aber auch die Kita, die ich zweiwöchentlich für einen Mini-Gottesdienst besuche, spielt eine aktive Rolle im Gemeindeleben. Traurig sind in Roggau hingegen die sonntäglichen Gottesdienstbesuche.
Burgdorf: Ich sehe das aber als Chance. Ganz salopp gesagt: Viel leerer als heute kann es nicht werden, ich habe nichts zu verlieren. Mein großer Ansporn ist daher, auch mal neue Formate auszuprobieren.
Die leeren Kirchenbänke sind – ebenso wie das Zusammenlegen von Gemeinden – Zeichen der Zeit, in denen die Kirchenmitglieder schwinden. Inwiefern erschwert dieses Klima Veränderungen, wie sie jetzt in Karben anstehen?
Dautenheimer: Ganz gleich, welche Angebote wir machen – auf die Mitgliederzahl hat das nur minimalen bis keinen Einfluss. Wir können gegen das altbackene Bild der Kirche in der Öffentlichkeit nur schwer ankommen. Umso wichtiger ist, dass wir punktuell gute Angebote machen – wenn wir das tun und Freude vermitteln und Menschen beistehen, dann können wir Menschen bewegen und ihnen zu einem neuen, stärkeren Zugang zur Kirche verhelfen. Aber von dem Gedanken, dass wir die Mitgliederzahlen signifikant erhöhen als direkte Folge unserer Arbeit, müssen wir uns verabschieden.
Burgdorf: Mitgliedschaft an sich ist einfach nicht mehr im Trend. Das sieht man ja auch bei Gewerkschaften, Vereinen, Parteien. Das heißt aber nicht, dass Menschen nicht trotzdem mit ihrem Herzen angesprochen werden können. Ich kann den Trend nicht umkehren – aber ich kann dafür sorgen, dass Menschen zu uns in die Kirche kommen und etwas erleben, das sie sonst nirgendwo anders erleben. Das hat das dazu geführt, dass bei der letzten Kirchenvorstandswahl Menschen kandidiert haben, die gar kein Mitglied mehr waren.
Dautenheimer: Das sieht man auch bei den Taufen: Zuletzt waren rund 80 Prozent der Taufen ältere Kinder im Kindergarten- oder Grundschulalter, die uns kennengelernt haben – und daraufhin Gemeindemitglied werden wollten.

Von Jana Sauer