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»Wir laufen am Limit«

Karbens Erste Stadträtin Heike Liebel bei ihrer Arbeit an der »Ukraine-Hotline«. Inzwischen ist Liebel zehn Stunden am Tag im Einsatz. Foto: Sauer
Karbens Erste Stadträtin Heike Liebel bei ihrer Arbeit an der »Ukraine-Hotline«. Inzwischen ist Liebel zehn Stunden am Tag im Einsatz. Foto: Sauer

Karbens Erste Stadträtin Heike Liebel (CDU) ist Ansprechpartnerin für die ukrainischen Geflüchteten und ihre Betreuer. Im Interview spricht sie über die beispiellose Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die Unterbringung der Flüchtlinge – und wo sich für Karben auch Chancen auftun.
Frau Liebel, wie oft klingelt ihr Handy in diesen Tagen?
Quasi permanent. Wenn ich in einer eineinhalbstündigen Arbeitssitzung bin, habe ich danach mitunter 20 Anrufe in Abwesenheit. Tagsüber komme ich oft nur zum Notieren der Anliegen, abends arbeite ich dann meine Notizen ab, gebe Anfragen ins Netzwerk, melde mich zurück.
Welche Anliegen werden an Sie herangetragen?
Anfangs waren die Anrufer vor allem Bürgerinnen und Bürger, die Menschen privat aufnehmen wollten. Mittlerweile sind es teils Helfer, die schon Menschen aufgenommen haben und nun Rat suchen. Denn das ist nicht zu unterschätzen: Zum Teil sind die Neuankömmlinge traumatisiert, sie benötigen in jedem Fall Hilfe bei Behördengängen, auch ist es eine finanzielle Belastung, bis die Auslagen erstattet werden. Ein großer Teil der Arbeit ist darüber hinaus die Terminvermittlung für die Anmeldung beim Einwohnermeldeamt der Stadt Karben. Sie ist das A und O, der »Startpunkt« quasi: Die Flüchtlinge sind dann registriert, dann können beispielsweise Kosten für die Einkleidung erstattet werden.
War Ihnen klar, was auf Sie zukommen würde?
Nein. In den absoluten Anfängen der Flüchtlingsbewegung fragte Bürgermeister Guido Rahn (CDU), wer ihm zehn Stunden pro Woche bei der Organisation unter die Arme greifen könne. Daraus sind mittlerweile zehn Stunden am Tag geworden.
…Tendenz steigend?
Vieles stabilisiert sich aktuell. Die Zahl der Flüchtlinge in Karben etwa – rund 200 sind es, alle privat untergebracht – steigt aktuell nicht mehr gravierend. Das ändert sich jetzt mit den vom Wetteraukreis zugewiesenen Flüchtlingen, die seit rund zwei Wochen über die Erstaufnahme Gießen nach Karben kommen. Für sie mieten wir als Stadt kleine Wohnungen an. Allerdings lässt sich aktuell noch nicht abschätzen, wie viele Flüchtlinge auf diesem Weg zu uns kommen werden. Für die vergangenen zwei Wochen waren 24 angemeldet, schließlich waren es nur vier. Gleichzeitig haben sich Netzwerke, etwa in Facebook, gegründet, in denen sich Betreuungspersonen gegenseitig unterstützen und Antworten geben. Das entlastet mich ein wenig.
Stichwort Wohnraum. Werden denn auch die Sammelunterkünfte aus der Flüchtlingswelle 2015 wiedereröffnet?
Viele Karbenerinnen und Karbener bieten aktuell Wohnungen an – oft Ältere, die sich selber noch gut an den Krieg erinnern können. Viele sind bereit, die Wohnungen auch zu einem vorübergehend verminderten Mietpreis anzubieten. Die Hilfsbereitschaft ist riesig. Darüber hinaus lassen wir gerade die Max-Planck-Straße 6 sanieren, um dort ukrainische Flüchtlinge unterzubringen. Eine Unterbringung in Bürgerhäusern oder Sporthallen wollen wir unbedingt verhindern.
Etwa 70 der rund 200 Geflüchteten in Karben sind Kinder. Wie ist ihre Betreuung geregelt?
In den Schulen – sowohl in den Grundschulen als auch in der »Deutsch als Zweitsprache«-Klasse (DAZ) der Kurt-Schumacher-Schule – sind bereits ukrainische Schüler aufgenommen. Einige nehmen auch noch am Online-Unterricht aus der Ukraine teil. Schwieriger ist die Betreuung der Kindergartenkinder: Hier können wir aktuell noch nicht unterstützen, weil keine Plätze frei sind. Wir arbeiten aber an einer Lösung: Unter den geflüchteten Ukrainerinnen sind auch Kindergärtnerinnen. Wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, möchten wir versuchen, eine eigene Gruppe aufzubauen. Wir haben ja auch Personalmangel – da könnte das sogar eine Chance sein.
Es klingt, als würden die Aufgaben erst einmal nicht weniger…
Das stimmt. Aber auf Dauer werden wir das in dieser Form nicht leisten können. Das Einwohnermeldeamt, der Fachbereich 7 (Soziales), ich als ehrenamtlich tätige Stadträtin, wir laufen alle am Limit. Das geht unter anderem nur, weil meine Familie mich so unterstützt.
Von Jana Sauer