Veröffentlicht am

Für wen laufen wir im Advent?

Das Wort zum Sonntag

Johannes Misterek
Johannes Misterek

Es gibt wohl kaum eine Zeit im Jahr, in der wir so viel hin und her laufen wie in den Tagen vor Weihnachten. Viele Vorbereitungen müssen in diesen Tagen getroffen werden. Der Jahresabschluss muss gemacht, Geschenke eingekauft, die Haare geschnitten werden. In der Schule, in den Vereinen und an der Arbeit jagt eine Weihnachtsfeier die andere. Die Vorweihnachtszeit ist einfach stressig, höre ich in diesen Tagen allenthalben. Und so laufen wir weiter von einem zum andern zum nächsten. Aber für wen laufen wir eigentlich? Hat die Unruhe dieser Tage ein Ziel?

„Für wen läufst du?“ Um diese Frage geht es in einer rabbinische Legende. In Ropschitz engagierten die reichen Bewohner Nachtwächter, die auf ihre Häuser aufpassen sollten. Als Rabbi Naftali eines abends spazieren ging, begegnete er einem hin und her laufenden Wächter und fragte ihn: „Für wen läufst du?“ Der Wächter nannte den Namen des reichen Mannes, für den er unterwegs war. Da fragte ihn der Wächter: „Und ihr, Rabbi, für wen lauft ihr?“ Das Wort traf den Rabbi wie ein Pfeil. „Noch laufe ich für niemanden“, brachte er mühsam hervor. Dann gingen die beiden lange schweigend nebeneinander her. „Willst du mein Diener werden?“, fragte der Rabbi endlich. „Das will ich gerne tun“, antwortete der Wächter, „aber was habe ich zu tun?“ „Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali.

Für wen laufe ich? Ich vermute, viel Unruhe und Hektik dieser Tage rühren daher, dass viele auf diese Frage keine befriedigende Antwort geben können. Vielleicht wäre das ein erster Schritt: Mir einzugestehen, dass ich wie Rabbi Naftali gerade nicht weiß, wohin mein Leben treibt: „Noch laufe ich für niemanden.“ Dann brauchen wir den Zuspruch, dass Gott uns auf der Suche nach IHM selbst führt und vorangeht, wie der Stern den Weisen aus dem Morgenland den Weg gewiesen hat – bis sie zur Ruhe kamen und (wieder) wussten, woher ihrem Leben Erfüllung zukommt. Wie Dorothy L. Sayers einmal sagte: „Glück ist ein Nebenprodukt, wenn ein Mensch Gott dient.“

Eine gesegnete Zeit im Advent wünscht

Pfarrer Johannes Misterek

Ev. Kirchengemeinde Dortelweil