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Ein kurzes Leben

Der Tod von Magdalene im Mai 2010 scheint aufgeklärt • Mutter ist der Polizei bekannt

Fast sechs Jahre nach dem gewaltsamen Tod eines Säuglings in Bad Vilbel scheint der Fall aufgeklärt. Doch einige Fragen bleiben offen.

Bad Vilbel. Weiße Steine rahmen das kleine Grab auf dem Friedhof Lohstraße ein, ein betender Engel blickt auf es hinab. Violette Stiefmütterchen sind frisch gepflanzt – die Ruhestätte wirkt sehr gepflegt. „Magdalene“ haben die Bad Vilbeler den Säugling genannt, der dort beigesetzt ist. Er hatte am 8. Juni 2010 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung seine letzte Ruhe gefunden. Die Bestürzung war groß: Warum musste das Baby sterben?

Es war Dienstag, der 27. Mai 2010. Ein Radfahrer fuhr an der Nidda nahe der Innenstadt entlang. Gegen 18.15 Uhr fand er die Leiche – durch Zufall. Er sah einen blauen Müllsack und hoffte, dort etwas Verwertbares zu entdecken. Doch stattdessen machte er in einem Gebüsch hinter einer kleinen Böschung einen grausigen Fund: Der kleine Körper eines toten Mädchens, der dort einfach abgelegt worden war. Von der Mutter fehlte jede Spur.

Schnell ermittelte eine eigens eingerichtete, fünfköpfige Arbeitsgruppe der Polizei Friedberg, dass der Säugling etwa in der 32. bis 36. Schwangerschaftswoche zur Welt kam. Das Baby war nach der Geburt lebensfähig. Es starb keines natürlichen Todes.

2800 DNA-Tests

Mitarbeiter der Bad Vilbeler Stadtverwaltung und eines örtlichen Beerdigungsinstituts gaben dem Mädchen den Namen „Magdalene“. Die Fahndung lief auf Hochtouren. Welche Frauen kamen als Mutter in Frage? Vom Alter her – aber auch geografisch? „Wir waren uns damals aufgrund anderer Fälle in Deutschland sicher, dass die Mutter wahrscheinlich sehr jung war“, erinnert sich Jörg Reinemer. Er war 2010 Pressesprecher der Wetterauer Polizei. Diese These bestätigt sich nun.

Doch zuvor gab es Massentests. Etwa 2800 Frauen im Alter zwischen 15 und 35 Jahren gaben im Februar 2011 in Bad Vilbel Speichelproben ab, die mit der DNA des toten Säuglings abgeglichen wurden. Doch ohne Erfolg, obwohl der größte Teil der Aufforderung der Polizei zum Test nachkam.

Die Ermittler gingen damals davon aus, dass die gesuchte Frau sich an der Nidda auskannte. Eine Ortsfremde hätte die versteckte Stelle am Ufer des Flusses nicht gefunden, hieß es. Trotz der aufwendigen Ermittlungen wurden jedoch keine konkreten Hinweise auf die Täterin gefunden.

Kommissar Zufall

Nun verhalf offenbar „Kommissar Zufall“ zur Aufklärung. „Die Mutter des Mädchens, das am 27. Mai 2010 tot am Nidda-Ufer in Bad Vilbel gefunden worden war, sitzt in Untersuchungshaft“, teilte die zuständige Frankfurter Staatsanwältin Nadja Niesen am Donnerstag mit. Denn die heute 22-jährige Mutter war vor etwa zwei Wochen in Frankfurt als „hilflose Person“ aufgegriffen worden.

Bei der Vernehmung habe sich ein dringender Tatverdacht ergeben, so die Staatsanwältin. Weitere Ermittlungen folgten. Die Behörde wirft der Frau vor, im Alter von 16 Jahren das Kind zur Welt gebracht, es getötet, in eine blaue Mülltüte gesteckt und abgelegt zu haben. Konkret wird ihr Totschlag zur Last gelegt. Kommt es zu einer Verurteilung, droht ihr laut Paragraf 212 des Strafgesetzbuches eine Gefängnisstrafe nicht unter fünf Jahren – oder in einem besonders schweren Fall sogar eine lebenslange Freiheitsstrafe. Da die mutmaßliche Täterin 2016 noch minderjährig war, wird das strafmildernde Jugendstrafrecht Anwendung finden.

Nach Informationen der FNP war die Jugendliche damals bei Bekannten in Bad Vilbel untergeschlüpft. Ob die Geburt überraschend einsetzte oder in welcher Situation sich die junge Frau befand, dazu sagt die Staatsanwaltschaft noch nichts. Klar scheint aber zu sein, dass die heute 22-Jährige das Baby in der Badewanne einer Wohnung bekam – und es ertränkte. Die Detail-Ermittlungen – zum Beispiel, wie lange das Kind schon tot war, bis es gefunden wurde –, laufen weiter.

Erleichtert ist der Wetterauer Polizeisprecher Reinemer. „Der Fall hat uns sehr beschäftigt, wir haben viel Mühe hinein gesteckt.“ Positiv äußert sich auch Bad Vilbels Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU): „Das Schicksal von Magdalene bewegt mich auch heute noch – und es bleiben die Erinnerungen an die große Anteilnahme der Bevölkerung, aber auch der Pietäten und Steinmetze, die für die kleine Magdalene eine würdige Ruhestätte schufen.“ (fnp)