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In Sorge um den Freund aus Kindheitstagen

Ron (links) und sein Vater Steven Wilhelm vor Erinnerungsfotos über die Besuche von Wladimir Kozlov in den 1990er Jahren. Foto: Eickhoff
Ron (links) und sein Vater Steven Wilhelm vor Erinnerungsfotos über die Besuche von Wladimir Kozlov in den 1990er Jahren. Foto: Eickhoff

Bad Vilbeler Familie steht in Kontakt mit Jugendfreund aus der Ukraine

Bad Vilbel. In den 1990er Jahren sind (nach dem Unfall im Atomkraftwerk) immer wieder Kinder aus der Region Tschernobyl in der Quellenstadt zu Gast. Bei Familie Wilhelm aus Bad Vilbel ist damals Wladimir Kozlov untergebracht. Zwischen ihm und Ron Wilhelm entsteht eine Freundschaft. Jetzt ist die russische Armee in der Ukraine einmarschiert und es herrscht dort Krieg. Und auch in Bad Vilbel sind die Sorgen groß.

Es sind Bilder der Verwüstung, die Wladimir Kozlov und seine Kollegen aus Irpin – rund 25 Kilometer vor Kiew – per WhatsApp und Telegram an Ron und Steven William nach Bad Vilbel schicken. Foto: Privat

Am Handy ist Ron Wilhelm derzeit so oft, wie lange nicht. Der zweifache Familienvater macht sich Sorgen. »Ich muss die ganze Zeit an Wladimir denken«, sagt der 33-Jährige. Seit mehr als 20 Jahren verbindet den Bad Vilbeler, der mittlerweile in Karben wohnt, und den Ukrainer eine Freundschaft. »Jetzt weiß ich nicht, ob ich ihn jemals wieder sehen werde.«
2017 gemeinsam auf dem Weinfest

Die Freundschaft zwischen den beiden reicht weit zurück. 1992 holte der damalige Bad Vilbeler Stadtbrandinspektor Gerhard Stengel nach der Tschernobyl-Katastrophe 150 Kinder aus dieser Region in die Quellenstadt. Über zwölf Jahre kamen jährlich Kinder aus der Ukraine nach Bad Vilbel. 1995 ist auch Wladimir Kozlov dabei. »Meine Frau und ich wir waren damals sofort überzeugt, dass wir mitmachen«, erinnert sich Steven Wilhelm. Er sitzt mit seinem Sohn Ron am Küchentisch. Beide blicken auf alte Fotos und Zeitungsartikel. Sie lächeln. »Das war eine spannende Zeit. In den sechs Wochen Ferien war volles Programm. Ob Ausflüge zur Feuerwehr oder in die Lochmühle. Es war immer was los«, erinnert sich Vater Steven. »Der Kleine kam damals an und war sehr schlank, fast schon etwas unterernährt. Seine Klamotten waren auch nicht die besten. Die Nachbarn haben ihm Schuhe gekauft und Jacken, wir waren auch mit ihm einkaufen. Er ist voll bepackt nach Hause gefahren.«

Zwischen Ron Wilhelm und Wladimir Kozlov entwickelt sich eine Freundschaft – auch deshalb, weil der Ukrainer 1996 und 2000 nochmal nach Bad Vilbel kommt und immer wieder bei den Wilhelms untergebracht wird. »Es war einfach cool. Einmal hat er seinen Geburtstag sogar hier bei uns gefeiert«, erinnert sich Ron Wilhelm.
Nach seinem letzten Besuch reißt der Kontakt zunächst etwas ab, flammt aber dank der sozialen Netzwerke wenig später wieder auf. »Wir haben uns über Facebook gefunden und seitdem regelmäßig Kontakt.«

2017 besucht Wladimir seinen Freund in der Quellenstadt. »Wir waren unter anderem auf dem Weinfest. Es war eine tolle Zeit.« Doch dem Bad Vilbeler fällt bei seinem ukrainischen Freund etwas auf. »Er ist ein sehr gebildeter Mensch, hat Tourismusmanagement studiert und fürs Fernsehen gearbeitet, aber als Soldat war er auf der Krim im Einsatz. So was prägt einen, das hat man gemerkt.«

Den Kontakt halten die beiden in den darauffolgenden Jahren und schreiben sich regelmäßig. »Bis vor wenigen Wochen war alles okay. Doch das hat sich schlagartig geändert.« Russland bringt den Krieg in die Ukraine. »Wladimir hat mir sofort geschrieben, dass er gemeinsam mit Freunden Frauen und Kinder an die Grenze gebracht hat«, sagt Wilhelm. Zurzeit hält sich Wladimir Kozlov in Irpin auf. Die Stadt ist rund 30 Kilometer von Kiew entfernt und unter Beschuss. »Die Bilder sind schockierend«, sagt Wilhelm. Während des Gesprächs ist Wladimir via WhatsApp zugeschaltet. Er informiert über schreckliche Zustände, schickt Bilder von russischen Gefangenen, von zerbombten Häusern und Straßen. In einem Video hat er ein Gewehr umhängen. »Aufgeben ist keine Option«, schreibt er seinem Freund in Deutschland. Ron Wilhelm muss schlucken. »Es ist schrecklich, und ich habe Angst, dass er das nicht überlebt. Ich bin ständig am Handy und hoffe, etwas von ihm zu hören.«

Mit Geldspenden Hilfe vor Ort ermöglichen
Der Vilbeler hat mit Freunden Spenden gesammelt und auf ein Konto überwiesen, auf das sein Freund Zugriff hat. »Davon konnten sie sich vor Ort schon einiges leisten. Er schickt mir Bilder und bedankt sich immer in kleinen Botschaften«, berichtet Wilhelm. Ein Besuch des Vilbelers in der Ukraine war immer wieder geplant. »Wir haben es immer wieder verschoben. Jetzt hat sich das wohl erledigt.«
Von Patrick Eickhoff

Spendenkonto
Ron Wilhelm unterstützt seinen Freund in der Ukraine über ein Konto bei der Clear Junction Limited. Kontoinhaber ist Volodymyr Kozlov, IBAN: GB51CLJU00997180127310, BIC: CLJUGB21, TIN: 3161018972.
»Das ist das Mindeste, was wir tun können«, sagt Ron Wilhelm, der sich aber auch vorstellen kann eine geflüchtete Familie aufzunehmen. »Ich habe bereits mit meiner Frau gesprochen.« (wpa)