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In ständiger Sorge um die Liebsten

Die geflüchteten ukrainischen Frauen Olena, Oksana, Nataliya, Julia, Anastasia und Nadia (nicht im Bild) erzählen von ihrem Leben in Karben.
Die geflüchteten ukrainischen Frauen Olena, Oksana, Nataliya, Julia, Anastasia und Nadia (nicht im Bild) erzählen von ihrem Leben in Karben.

Karben. Zwei Jahre ist es her, dass der russische Angriff Nadia, Olena, Oksana, Julia, Anastasia, Nataliya und ihre Familien (Namen der Redaktion bekannt) zur Flucht gezwungen hat. »Wir hatten keine Wahl. Wir hörten von russischen Panzern in Anmarsch, setzten uns ins Auto, um unsere Freunde nahe Kiew aus dem Beschuss zu retten. Wir waren in Panik, konnten nicht mehr nach Hause und fuhren los Richtung Grenze«, sagt Nataliya (51). In Ihrer Heimat hat sie Unternehmen bei internationalen technischen Projekten beraten.

Nataliya hilft
Geflüchteten

Jetzt kommen ihr ihre guten deutschen Sprachkenntnisse zugute, um in Karben anderen Geflüchteten zu helfen und selbst wieder eine Arbeit zu finden. Sie hat die Zulassung des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhalten und führt für die Familienbildung Wetterau Integrationskurse durch. Außerdem bietet sie vom BAMF geförderte Kurse zur gegenseitigen Stärkung (MIA) für ukrainische Frauen an. Von Anfang an ist sie in Karben ehrenamtlich für die Flüchtlingshilfe tätig gewesen.
Dankbar für die große Welle an Hilfsbereitschaft, die ihnen nach teils traumatischen Fluchterfahrungen entgegenschlug, sind alle Frauen. Das hat ihnen geholfen, sich zurechtzufinden, Entscheidungen zu treffen, zu bleiben oder zurückzugehen.

Getrennt von Mann und Familie

Nadia (55) hat schnell eine Arbeit im ASB Pflegeheim gefunden. Aber ihre Tochter und Enkeltochter sind zurückgekehrt in die Ukraine, weil der Ehemann dort arbeitet. Andere Frauen wollen ihren Kindern keine Nächte im Bunker, kein Leben unter ständigem Beschuss zumuten. Dafür nehmen sie in Kauf, getrennt vom Ehemann, von Familienangehörigen zu leben und immer Angst um sie zu haben.
»Unser erster Blick geht morgens zum Handy. Was gibt es für Nachrichten? Leben alle, hat es Beschuss gegeben, steht unser Haus noch, gibt es die Straße noch?«, berichtet Nataliya. Sie ist Weihnachten in die Ukraine zu ihrer Mutter und Tochter gefahren. »Nicht zum Feiern, sondern um zu helfen«, sagt sie. »Meine Mama wohnt seit zwei Jahren in einem teilweise zerstörten Haus.« Auch um ihre Tochter (29), die sich als Freiwillige zum Militärcamp gemeldet hat und kürzlich verletzt wurde, sorgt sich Nataliya.
Olena (36) ist vor zwei Jahren mit ihren beiden Töchtern aus Mykolajiw geflüchtet. Die Jüngere besucht jetzt den Kindergarten. Die Ältere geht zur Schule und hat zusätzlich Online-Unterricht von der ukrainischen Schule. Olena selbst besucht bereits einen B2-Sprachkurs, um in ihrem Beruf als Buchhalterin arbeiten zu können. Trotz des geregelten Lebens in Karben leidet sie unter der Situation.
»Mein Herz fühlt Schmerzen. Ich habe zwei Jahre meine Mutter und Schwester nicht gesehen. Das ist schwer.
Mein ganzes Leben ist in der Ukraine geblieben. Das war keine freiwillige Entscheidung, der Krieg hat es erzwungen. Ich danke für die Hilfe, die wir in Deutschland bekommen haben. Hier können meine Kinder lachen, das ist wichtig. Hier haben sie eine Kindheit.«
Julias 25-jähriger Sohn verwundet
Julia (49) ist mit ihren zehnjährigen Tochter aus Butscha geflohen. Auch sie lernt Deutsch, um als Buchhalterin arbeiten zu können. »In meiner Heimatstadt müssen die Kinder bei jedem Alarm in den Bunker, das ist furchtbar«, sagt sie. Ihr erwachsener Sohn (25) ist bei der Armee, wurde verwundet und ist jetzt in Reha. Der Ehemann ist in der Ukraine geblieben und arbeitet in seinem Beruf. Julia ist froh, überlebt und ihre kleine Tochter in eine friedliche Umgebung gebracht zu haben. »Es gefällt mir in Karben«, sagt sie. Es sei eine schöne Stadt und sie sei gerne in der Natur, das gebe ihr Kraft. Zu Hause sei so vieles zerstört.
Oksana (35), die mit ihrer achtjährigen Tochter geflüchtet ist, findet es schwer, ohne Familienangehörige zu sein. Aber sie hat Pläne. Gerne möchte sie wie in ihrer Heimat als selbstständige Dekorateurin arbeiten. In der Ukraine hat sie fantastische essbare Geburtstagssträuße gebastelt und dekorierte mit Luftballons schöne Kinderfeste.
Den Traum, irgendwann wieder nach Hause zu können, hat Nataliya nicht aufgegeben. Aber die Realität sieht anders aus. »Ich bin sehr pessimistisch«, sagt sie. Die Ukraine werde es nicht schaffen, ohne weitere Waffenlieferungen den Krieg zu gewinnen. Die ukrainischen Menschen seien sehr mutig. Aber in jeder Familie gebe es schon Tote, und das könne man nicht einfach vergeben. Russland sei eine Gefahr für den Frieden in Europa, das begriffen leider viele Menschen noch nicht. Ihre Heimat will sie unterstützen so gut sie kann.
»Wir lernen hier viel, das können wir einbringen, um beim Wiederaufbau zu helfen.« Anne-Rose Dostalek