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Mit Farben der Worte gemalt

Rafik Schami fesselt und begeistert sein Publikum nicht mit einer klassischen Lesung, sondern mit einer lebendigen Erzählung in der Tradition orientalischer Geschichtenerzähler. Foto: Fauerbach
Rafik Schami fesselt und begeistert sein Publikum nicht mit einer klassischen Lesung, sondern mit einer lebendigen Erzählung in der Tradition orientalischer Geschichtenerzähler. Foto: Fauerbach

Bad Vilbel. Rafik Schami eröffnet die Burgfestspiel-Matineen in Bad Vilbel mit einer faszinierenden Vorstellung. Gemeinsam mit seinem Publikum tauchte er in der mittelalterlichen Burgruine mit Auszügen aus seinem Roman »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste« in die hohe Kunst der Hakawati, der mündlichen Geschichtenerzähler, seiner syrischen Heimat ein.
Die Vorfreude beim Publikum auf den voll besetzten Tribünen in der Wasserburg war groß. Die Fans freuten sich darauf, Rafik Schami zu sehen und zu hören – und sie sollten nicht enttäuscht werden. Der Schriftsteller hat sein Buch »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste« aus der Pfalz nach Hessen mitgebracht. Auf dem Cover abgebildet sind Mosaike eines syrischen Klosters, auf denen die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. So farben- und formenreich wie die alten Mosaike, sind auch die von ihm durch seine Bearbeitung vor dem Vergessen geretteten 136 Erzählungen. Niedergeschrieben hatte diese ein anonymer Autor Ostern 1820 oder 1830. Das Datum »Ostern« legt nahe, dass er ein Christ gewesen ist. Eingebettet in eine Rahmenhandlung hat er sie zu einem Roman aus Tausendundeiner Nacht miteinander verbunden.
Kostproben daraus präsentierte der begnadete Geschichtenerzähler Rafik Schami dem Publikum. Der Autor liest aber weder die Rahmenhandlung um die schöne, aber traurige Königstochter Jasmin vor, noch die von Mut und Feigheit, von Freundschaft und Feindschaft, von Gastfreundschaft und Wünschen, von der Kunst des Handelns, von Geiz und Großzügigkeit, von der Liebe und der Weisheit des Herzens handelnden Geschichten. Er erzählt sie, verbindet sie mit der Geschichte seiner Familie, mit Erlebnissen aus seiner Studienzeit in Heidelberg und der Entstehung des Buches, an dem er fünf Jahre lang arbeitete.
Liebeserklärung an die Kunst der Hakawati
»Eine Geschichte neu zu erzählen, ist nichts anderes als sie neu zu erfinden.« Rafik Schami schreitet über die Bühne und unterstreicht seine Erzählungen immer wieder mit Gesten. Das Publikum erfuhr, wo die Unterschiede zwischen einer Städtekultur wie der persischen und einer Wüstenkultur wie der arabischen liegen. Die Perser lebten in einer Welt voller Farben, die Araber in einer kargen, immer gleichen aus Sand. Weshalb sie keine Bilder malten. »Anstelle von Malerei hat die Wüste mit den Farben der Worte gemalt. Die Sippen der Beduinen haben ihrer Fantasie freien Lauf gelassen und Geschichten erzählt, um die Langeweile zu durchbrechen.«
Gedacht war der Roman als Liebeserklärung an seinen Vater, der ein strenger Katholik und begeisterter Büchersammler war. Herausgekommen ist zugleich eine Liebeserklärung an die hohe Kunst der Hakawati, der Geschichtenerzähler. Grundlage für den Roman ist eins von sechs geretteten Büchern, das in der Bibliothek des Sommerhauses seines Vaters im christlich-aramäischen Dorf Maalula stand. Die Bibliothek mit der kostbaren Büchersammlung wurde im Syrien-Krieg ein Oper der Flammen.
In der Wasserburg tauchte das Publikum mit seinem Geschichtenerzähler Rafik Schami in die faszinierende Welt des Orients ein, in fremde Sitten, Gebräuche und Vorstellungen. Er nahm die Zuhörer mit an so unterschiedliche Orte wie eine Moschee, Wohnungen, Märkte, Geschäfte und Landstraßen. Sie schlossen Bekanntschaft mit gewieften Schauspielern, gutmütigen Besitzern eines Esels, geduldigen Gastgebern und törichten Männern, die sich 40 Jahre jüngere Ehefrauen wünschen. Immer wieder überraschen die der Königstochter allabendlich erzählten Geschichten durch ihre Weisheit und ihr unerwartetes Ende.
Haben Taxifahrer etwas
Komisches erlebt?

Das Publikum erfuhr, dass der Autor Taxifahrer immer frage, ob sie etwas Komisches erlebt hätten. Meist laute die Antwort: »Ich könnte ein Buch schreiben.« Darauf erwidert Rafik Schami stets: »Nein, nein, das mache ich.« Ob es den Geschichtenerzählern gelingt, Prinzessin Jasmin von ihrer Melancholie zu befreien, und ob sie ihre große Liebe, den armen Fischer Amir aus dem Nachbarland, heiratet, erfahren die Leser von »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste«. Das Publikum feierte den Autor mit viel Applaus für seine große Erzählkunst.
Rafik Schami »Wenn du erzählst, erblüht die Wüste«, Roman, Hanser Verlag, 480 Seiten, ISBN 978-3-446-27746-5.
Von Christine Fauerbach