Veröffentlicht am

So schön wie daheim – Beim Modellprojekt des Kreises verbringen Senioren ihren Tag in Gastfamilien

Schöneck. Frau Adam* schlägt sie alle. Die 85-Jährige ist unangefochtene Siegerin beim wöchentlichen Mensch-ärgere-Dich-nicht. Mit ruhiger Hand würfelt sie ihre Figuren ins Ziel, und den anderen Damen bleibt allenfalls ein zweiter Platz übrig. „Die Runde Mensch-ärgere-Dich-nicht ist der Höhepunkt unseres Tages“, sagt Gudrun Otto-Nix (68) schmunzelnd. Und es ist der Moment, in dem die ruhige Frau Adam, die sich manchmal nicht erinnern kann, wo sie wohnt, zeigen kann, was in ihr steckt.

Das Brettspiel gehört immer montags und freitags fest zum Tagesablauf im Hause Otto-Nix. Das sind die beiden Wochentage, an denen Gudrun Otto-Nix und Ursel Kloss (68) „ihre“ Senioren in dem gemütlichen Büdesheimer Einfamilienhaus begrüßen. An diesem Freitag sitzen Frau Jassek, Frau Konrad und Frau Adam in dieser Runde – Herr Schäfer, der einzige Mann in der Gruppe, ist krank.

Von 10 bis 15.30 Uhr gibt es ein festes Programm: eine Begrüßungsrunde, einmal Memory, eine Partie „Paare finden“ und Mensch-ärgere-Dich-nicht. Dann kocht Gudrun Otto-Nix das Mittagessen; heute gibt es Pellkartoffeln mit Quark, das nächste Mal Bratwürstchen mit Gemüse. Wenn keiner mehr hungrig oder durstig ist, setzen sich alle auf die große Couch zur Ruhepause. Am Nachmittag steht ein kleiner Spaziergang auf dem Programm und zum Schluss das Kaffee-Trinken.

Für die Gäste ist es wichtig, dass sich am festen Ablauf nichts ändert: Es sind vor allem demente Menschen, die die Tagespflege in Anspruch nehmen. „Diese Leute brauchen und lieben klare Strukturen“, erklärt Gabriele Karadeniz. Sie ist eine der drei Koordinatorinnen für das Projekt „So wie daheim“ im Main-Kinzig-Kreis und entscheidet auch, welche Senioren zu welchen Gastgebern kommen. „Ich schaue, dass es passt, die Leute sich sympathisch sind, der Fahrtweg nicht allzu lang ist.“

Die Gastgeber, das sind laut Karadeniz vor allem Rentner und vor allem Frauen, teilweise mit Erfahrung in der Pflege. Letzteres ist aber keine Voraussetzung: „Es geht vor allem darum, gemeinsam einen schönen Tag zu erleben und so auch die Angehörigen der Senioren zu entlasten“, sagt Karadeniz. Stark pflegebedürftige Menschen könnten an dem Projekt ohnehin nicht teilnehmen – das übersteige die Möglichkeiten der Betreuer.

Dass Gudrun Otto-Nix und Ursel Kloss im Team arbeiten, ist Pflicht: Die Betreuer sind immer zu zweit, „damit keiner die Bürde allein tragen muss“. Die beiden Schöneckerinnen haben, wie alle Gastgeber, eine 70-stündige Schulung und ein 30-stündiges Praktikum hinter sich. „Ich wollte mich nach dem Tod meines Mannes vor zwei Jahren gerne gesellschaftlich einbringen“, sagt Ursel Kloss. Auch Gudrun Otto-Nix ist gerne Gastgeberin. Sie hat selbst fünf Jahre lang ihre demente Mutter gepflegt, ist auch in der Gemeindevertretung und im Ortsbeirat aktiv.

Für ihr Engagement erhalten die Gastgeber eine Aufwandsentschädigung: 30 Euro pro Tag, 20 Euro zusätzlich für diejenigen, die ihre Wohnung oder ihr Haus zur Verfügung stellen. Pro Gast gibt es noch einmal 4,50 Euro. Eine Gruppe besteht aus maximal fünf Senioren und trifft sich ein- oder zweimal pro Woche.

Im Wohnzimmer ist die Runde Mensch-ärgere-Dich-nicht beendet – und wieder einmal hatte Frau Adam ihre Figuren zuerst im Ziel. Gudrun Otto-Nix setzt schon einmal das Wasser für die Pellkartoffeln auf und rührt den Quark an. Die Stimmung am Tisch ist gut: „Wir quatschen und wir lachen viel“, sagt Ursel Kloss.

* Namen der Gäste von der Redaktion geändert