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Unter einer Laterne

Burgfestspiele: Komödie „Mein Freund Harvey“ erinnert uns an unsere Träume hinter der Realität

Peter Ahrens spielt den Elwood P. Dowd in der wunderbaren Burgfestspielinszenierung "Mein Freund Harvey", Foto: Eugen Sommer
Peter Ahrens spielt den Elwood P. Dowd in der wunderbaren Burgfestspielinszenierung "Mein Freund Harvey", Foto: Eugen Sommer

Sie haben es vollbracht: Weil sie einen unsichtbaren Hasen dem Publikum deutlich sichtbar werden ließen, wurde das Ensemble der Burgfestspiele bei der Premiere der hinterlistigen Komödie „Mein Freund Harvey“ am Freitagabend begeistert gefeiert. Harvey, der Hase, nahm es mit höflicher Verbeugung zur Kenntnis.

Sie glauben nicht, dass Ihnen einmal ein 1,80 Meter großer weißer Hase vorgestellt wird? Dann sollten Sie diesen Unglauben auf die Probe stellen und eine Vorstellung in der Bad Vilbeler Burg besuchen. Elwood P. Dowd, dieser etwas in die Jahre gekommene und leicht schrullig wirkende Junggeselle, ist die Freundlichkeit in Person. Wenn er jemanden fragt, wie es ihm geht, scheint ihm eine ehrliche Antwort wirklich am Herzen zu liegen. Für Elwood ist die ständige Begleitung seines Freundes Harvey völlig normal. Ebenso, dass er ihn allen vorstellt, und überzeugt ist, dass alle ihn so sehen, wie er ihn sieht. Viel Zeit verbringen beide in Bars und anderen Lokalitäten, lassen die Musikautomaten spielen, trinken, reden und hören anderen Gästen zu, die von ihren Hoffnungen und ihrem Kummer erzählen. „Keiner kommt mit Kleinigkeiten in eine Bar“, fasst es Elwood zusammen.
Elwoods Schwester Veta und deren Tochter Myrtle Mae sind der Verzweiflung nahe. Sie sehen sich durch das seltsame Gebaren des Hausherrn ins gesellschaftliche Abseits gestellt. Um ihren Ruf zu retten, entschließt sich Veta ihren Bruder in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Das geht zunächst gründlich schief – mit erheblichen Folgen für Veta. Als der Irrtum aufgeklärt ist, kommt es auch bei der chaotischen Fahndung zu turbulenten Komplikationen. Als sich Elwood doch wieder im Sanatorium einfindet, erklärt er sich bereit, Medikamente zu nehmen, die ihn von seiner „Halluzination“ befreien sollen. Aber da mischt sich dann doch Harvey ein und Veta muss sich selbst fragen, ob sie ihren Bruder als „ganz normalen Menschen“ erleben möchte, obwohl sie – wie ihr ein Taxifahrer vorhält – ja wisse, „was das für ein griesgrämiges Gesindel ist“.
Sieg der Poesie
Nicht wenige Zuschauer dürften nach der Vorstellung dem ermunternden Zuruf „Halt die Ohren steif“ eine andere, vermutlich viel positivere Bedeutung zumessen, als zuvor. So kann es eben gehen, wenn Fantasie zugelassen wird. Was als Flucht aus der Realität gedeutet werden kann, ist aus einer anderen Sicht ein – wenn auch sicher nur temporärer – Sieg der Poesie über den grauen Alltag und an die Kraft der Güte und Freundlichkeit. Die Moral der Geschichte bringt Veta auf den Punkt, als sie den Unterschied zwischen dem Bild eines Fotografen und dem eines Malers erklärt: Ein Foto zeige nur die Realität, das Bild eines Künstlers jedoch den „Traum hinter der Realität“, wobei allgemein gelte „Unsere Träume halten uns in Gang“.
Mut zur Fantasie
Ein quadratischer drehbarer Kubus dominiert das Bühnenbild. Das vornehme Zuhause der Familie Dowd ist in zartrosa gehalten. Spielt die Geschichte im sterilen Sanatorium, so wird der Kubus gedreht.
Es braucht bei der Inszenierung von Regisseurin Adelheid Müther etwas Zeit, bis bemerkbar wird, dass sich hinter der mitunter feinen Situationskomik und dem Wortwitz eine herrlich vergnügliche Darstellung von Zuständen verbirgt, die in ihren Konventionen zu erstarren drohen. Nach der Pause nimmt das Geschehen richtig Tempo auf. Was oberflächlich als äußerst amüsante wie skurrille Komödie daherkommt, erweist sich mit tiefsinnigen Dialogen sowie melancholischen und tragikomischen Momenten als warmherzige Botschaft für den Mut zur Fantasie, für mehr Toleranz und gegenseitiges Verständnis.
Umwerfender Charme
Die Amerikanerin Mary Chase hat den 1944 uraufgeführten „Harvey“ geschrieben. In der Verfilmung von 1950 wird gelobt, dass Hollywood-Star James Stewart den Elwood mit einer Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit verkörpert habe, „die jede Schauspielerei hinter sich zu lassen scheint“. Genau dieses Lob darf an Peter Albers weitergegeben werden, der in Bad Vilbel nun „seinen Freund Harvey“ den Zuschauern mit nicht zu widerstehendem Charme vorstellt.
Volker Weidlich spielt die Veta mal als energische Geldaristokratin, mal als hilfloses Opfer und zum Schluss als eine einsichtig gewordene Frau. Nur beim ersten Auftritt kommt kurz die Befürchtung auf, Weidlich könne in die Rolle eines klamauckigen Mannes in Frauenkleidern abrutschen.
Martin Müller ist als Sanatoriumsleiter zunächst ein selbstsicher und autoritärer Rationalist, bevor er, durch die Begegnung mit Harvey und Elwood geläutert, sich den eigenen Wunschträumen stellt. Eva Maria Kapser ist Elwoods etwas zu quirlige Nichte mit völligem Unverständnis für dessen Freund Harvey. Überzeugen kann Elwood dagegen den verklemmten Dr. Sanderson (Christoph Türkay) und Schwester Kelly (Alice von Lindeau) mit seiner anrührenden Erzählung vom ersten Treffen mit dem unter einer Laterne stehenden Harvey.
Wer „Mein Freund Harvey“ in der Vilbeler Burg gesehen hat, wird wohl öfters etwas genauer und länger zu den Laternen am Wegesrand blicken.

Die nächsten Vorstellungen folgen am 21., 22. und 23. Juni und weitere dann im Juli und August. Genauer Spielplan unter www.kultur-bad-vilbel.de.