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Wo nichts mehr zu holen ist – Rechtzeitig vor der Einführung der Doppik trennt sich die Stadt von nicht mehr einzutreibenden Altforderungen

Karben. Es sind die Ärmsten der Armen. Wenn sie gar nichts mehr haben, kommen sie nicht selten ins Rathaus und hoffen auf Hilfe. Dass sie ein Dach über dem Kopf bekommen, darum sorgen sich dann die Mitarbeiter im Fachdienst Soziales. Weisen sie zum Beispiel in städtische Wohnungen ein. Dass das meist zu Lasten der kommunalen Finanzen geht – wenig verwunderlich. Rund 390 000 Euro an solchen Forderungen, die die Stadt wohl niemals wird bekommen können, haben Stadtregierung und Parlamentarier nun abgeschrieben. Der Beschluss dazu im Haupt- und Finanzausschuss fiel mit den Stimmen aller Fraktionen.

Diese hohe Summe ist in den Jahren 1980 bis 2006 in der Stadtkasse aufgelaufen. Sie setzt sich allerdings aus vielen kleinen Forderungen zusammen – und damit vielen großen Schicksalen. Menschen, die über Jahre hinweg ihre Miete nicht zahlen konnten, die die Hundesteuer schuldig blieben. „Wir haben uns entschieden, einen Generalaufwasch zu machen“, erklärt Berthold Polag vom städtischen Fachdienst Finanzen. „Wir machen jetzt reinen Tisch.“

Wobei vor allem ein technischer Grund die Verwaltung antreibt: Ab 2007 rechnet Karben mit der neuen Doppik, also der doppelten Buchführung. Allen Ballast – hier in Form der Altforderungen, die ohnehin nicht mehr eingetrieben werden können – rechnet die Stadt zum Ende des Jahres 2006 nachträglich ab.

Dass die alten Forderungen aus städtischer Sicht „unwertig“ sind, liegt daran, dass einige Fälle inzwischen verjährt sind. In den meisten Fällen allerdings erstreckten sich die Eintreibungsverfahren über Jahre hin – paradox: weil die Schuldner selbst sie verzögerten. „Bei vielen Forderungen kam immer mal wieder Geld rein“, berichtet Berthold Polag. „Wenn man hingegangen ist zum beitreiben, haben die Menschen das gegeben, was sie gerade hatten.“ Das seien dann Kleinstsummen gewesen. Der gute Wille allerdings hielt die Verfahren auch über lange Sicht in Betrieb. „Die Menschen wollten ja meistens etwas zahlen.“

Dennoch sorgt die hohe Gesamtsumme für zweifelnde Mienen bei der Koalition aus CDU, FWG und FDP. „Mich verwundert, wie in diesen vielen Einzelfällen diese hohen Forderungen aufgelaufen sind“, sagt FWG-Fraktionschef Michael Ottens. Er berichtet von 7000 bis 9000 Euro Mietschulden in Einzelfällen, obwohl die städtischen Wohnungen „doch eher niedrigpreisiger“ seien. „Hier müssen über Jahre hin keine Mieten gezahlt worden sein, ohne dass dem nachgegangen wurde“, sagt Ottens. „Wie konnten diese hohen Forderungen überhaupt über Jahre auflaufen, ohne dass die Stadt etwas unternommen hat?“

Hat sie doch, unterstreicht Wolfgang Fuchs vom Fachdienst Finanzen. „Aber was wollen Sie denn da holen?“ Schließlich sei es um die Ärmsten der Armen gegangen, um einfachste soziale Verhältnisse. Es gebe nun einmal auch in Karben Menschen, die am Rand des Existenzminimums lebten, erinnert Bürgermeister Roland Schulz (SPD). Natürlich könne die Stadt ihnen auch eine erste, zweite und dritte Mahnung senden. „Aber dort ist nichts zu holen.“ Die Nachfrage von Michael Ottens, ob die Stadt denn nichts unternommen habe, zeige, dass hier „unterschiedliche Weltanschauungen“ aufeinander träfen, findet Schulz.

Keine Alternative sei es, die Menschen wegen des Nichtzahlens der Miete aus der Wohnung zu werfen. „Wenn man die draußen hat, muss man ihre Obdachlosigkeit verhindern“, erklärt der Bürgermeister. „Und dann muss man sich doch wieder um die Menschen kümmern.“ Oft sei es besser und kostengünstiger, auflaufende Mietforderungen in Kauf zu nehmen. Auch habe die Stadt in einigen Fällen Mieter herausgeklagt, berichtet Werner Klees vom Fachdienst Finanzen. „Aber dann gilt das Obdachlosenrecht und die Stadt muss Notwohnungen bereitstellen.“ Und wenn die Betroffenen auch diese nicht zahlen können – „wo sollen sie denn dann hin?“ (den)