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»Es lebe die Freiheit«

Der Niddaplatz ist an am Mittwochabend der vorigen Woche mehr als nur gut gefüllt. Foto: Christine Fauerbach
Der Niddaplatz ist an am Mittwochabend der vorigen Woche mehr als nur gut gefüllt. Foto: Christine Fauerbach

Bad Vilbel. Rund 300 Menschen haben nach Angaben der Polizei in der vorigen Woche am Mittwochabend (24. Januar) auf dem Niddaplatz gegen Rassismus, für eine starke Demokratie, eine bunte und vielfältige Gesellschaft demonstriert. Zu dieser Mahnwache und Kundgebung hatten die »Omas gegen rechts« aufgerufen. Obwohl der Aufruf erst seit Montag erfolgt war, war die Resonanz so groß. Die Demonstranten hielten zum Teil selbst geschriebene Plakate hoch, auf denen sie für Demokratie, Toleranz und Vielfalt warben.
Angelika Ungerer von den »Omas gegen rechts Wetterau« begrüßte die Menge auf dem Niddaplatz. Sie sagte: »In ganz Deutschland gehen die Menschen für die Demokratie auf die Straße. Wir wollen heute zeigen, dass wir auch in der Wetterau und in Bad Vilbel zur Demokratie stehen. Eine Demokratie, in der wir aufgewachsen sind, in der unsere Kinder groß geworden sind, und in der auch unsere Enkel leben sollen.« Sie fügte hinzu, dass ihre Familie bunt sei und ihre Schwiegertöchter und -söhne einen Migrationshintergrund haben. »Aber sie sind Deutsche, hier aufgewachsen, und wir wollen sie nicht missen.«
Gute Kommunikation statt Populismus
Es reiche nicht, dass Demokraten überall in Deutschland aufstehen und auf Demonstrationen gingen, sondern »die viel beschworene Brandmauer gegen rechts muss stehen. Was wir jetzt brauchen ist ein Handeln der Politik«. Dazu gehöre keine Zusammenarbeit mit rechten Parteien, weder in der Kommunalpolitik noch auf Landes- oder Bundesebene. Gebraucht werde eine Sachpolitik, die allen Menschen zugutekomme. Dazu gehörten bezahlbarer Wohnraum, ausreichend Betreuungsplätze in Kindergärten und Schulen, weniger Populismus, dafür bessere Kommunikation, nachvollziehbare Handlungsstränge und viele Demokraten bei den Wahlen. Wichtig sei es, »Nein zu sagen« oder »da bin ich anderer Meinung«, wenn man Fremdenfeindlichkeit mitbekomme.
Für den Magistrat nahm der ehrenamtliche Stadtrat und Kreistagsabgeordnete Clemens Breest (Bündnis 90/Die Grüne) teil. Er lobte die Initiative der »Omas gegen rechts« und das starke Signal der Zivilgesellschaft, als am Wochenende Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straßen gegangen sind. Er dankte allen im Namen des Magistrats, »die heute Abend gekommen sind, um jeglichen Menschenhass und allen Demokratiefeinden die rote Karte in unserer Stadt zu zeigen«.
Die Teilnahme zeige, dass »Bad Vilbel eine wachsame Zivilgesellschaft hat. Und diese ist heute aufgestanden, um deutlich zu machen, dass hier kein Ort für Extremisten ist: nicht auf den Straßen, nicht in den Vereinen, nicht in den Facebook-Gruppen und auch nicht in der Stadtverordnetenversammlung. Bad Vilbel steht zu seiner bunten und vielfältigen Gesellschaft, zu einem demokratischen Miteinander trotz unterschiedlicher und gar gegensätzlicher politischer Überzeugungen.«
Kritik an der Regierung und ihrem Handeln sei legitim, doch wenn »Regierungsvertreter bedroht werden und durch Wahlen legitimierte Abgeordnete Deportationspläne für sie unliebsame Menschen verfolgen, ist die Grenze zum Extremismus überschritten«, sagte Breest. Es reiche nicht, die Verteidigung der Demokratie den Strafverfolgungsbehörden zu überlassen. Es müsse unmissverständlich deutlich werden, dass Rassismus und Extremismus in der deutschen Gesellschaft nach 1945 und nach 1989 keinerlei Grundlage mehr hätten.
Bewegende Reden,
mahnende Worte

Danach ergriff mit Mathias Kern – Ehemann, Vater einer Tochter und Bürger der Stadt Bad Vilbel – das Wort. Er verlas zwei Briefe, die er an Sophie Scholl richtete. Im ersten formulierte er seine Angst davor, Rede- und Gedankenfreiheit zu verlieren und vor Verfolgung. »Ich habe Angst davor, meiner Tochter eine Welt zu übergeben, in der Faschismus und Rassismus normal sind. Liebe Sophie, sie waren nie weg. Schlimmer, sie sind wieder da. Sie missbrauchen das, wofür du und dein Bruder gekämpft haben: Demokratie und Redefreiheit.« Im zweiten Brief drückte er seine Hoffnung aus, weil er sehe, wie im ganzen Land Menschen aufstehen, laut sind, auf die Straße gehen und das fortführen, »was ihr begonnen habt. Du wärst stolz. Ich schreibe dir, weil wir dich, deinen Kampf und all das Grauen nicht vergessen haben«.
Zu den Demonstranten gehörte auch die ehrenamtliche Stadträtin Ute Petersen (B90/Die Grünen), deren Großvater Martin Reck (SPD) ab 1921 Abgeordneter im Landtag in Darmstadt und Beigeordneter in Vilbel war. »Mein Großvater wurde ins KZ Dachau verschleppt.« Angesichts der Bedrohung und Verfolgung von Menschen durch rassistische und antidemokratische Gruppen sei Wachsamkeit geboten. »Es liegen enorme Aufgaben vor uns. Wir alle sind dafür verantwortlich, dass unsere Demokratie gelebt wird, dass die Vielfalt als Bereicherung gesehen wird.«
Von Christine Fauerbach