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»Frischekick« für My Fair Lady

Oberst Pickering (Kai Müller, links) und Phonetik-Professor Henry Higgins (Markus Maria Düllmann) rezitieren gemeinsam mit ihrem Schützling Eliza Doolittle die berühmte Liedzeile »Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen«. Passend dazu umtanzt das Ensemble die Bühne mit einer schwungvollen Gärtner- und Blumenchoreografie. Foto: Eugen Sommer
Oberst Pickering (Kai Müller, links) und Phonetik-Professor Henry Higgins (Markus Maria Düllmann) rezitieren gemeinsam mit ihrem Schützling Eliza Doolittle die berühmte Liedzeile »Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen«. Passend dazu umtanzt das Ensemble die Bühne mit einer schwungvollen Gärtner- und Blumenchoreografie. Foto: Eugen Sommer

Bad Vilbel. Mit großer Begeisterung und viel Applaus, der von einigen Besuchern stehend gespendet wurde, hat das Publikum der Bad Vilbeler Burgfestspiele die Aufführungen des Musical-Klassikers »My Fair Lady« unter der Regie von Christian H. Voss und der Regieassistenz von Julia Rilling aufgenommen.
Die hinreißende Cinderella-Geschichte um den überheblichen Phonetik-Professor Henry Higgins (Markus Maria Düllmann) und das ungebildete Blumenmädchen Eliza Doolittle (Julia Steingaß) war von Regie, Dramaturgie (Angelika Zwack), Choreografie (Kerstin Ried) und Bühnenbau (Oliver Kostecka) Anfang des 20. Jahrhunderts in London angesiedelt, sprachlich aber nach Berlin und ins Zille-Milieu verlagert worden.
Berliner Schnauze
So entpuppte sich Eliza anfangs als junge Marktfrau mit »Berliner Schnauze«, Mutterwitz und Herz, die später zur selbstbewussten, emanzipierten Lady mutiert und ihren Lehrern Paroli bietet. Zum Publikumsliebling entwickelte sich ihr trinkfester Vater, der Müllkutscher Alfred P. Doolittle (Theodor Reichardt), der gelegentlich singenderweise von seinen Kumpanen über die Bühne getragen wurde.
»Der Regen zu Beginn dieser Samstag-Vorstellung hat bestens gepasst«, resümierten einige Zuschauer bereits in der Pause. »Als hätte man das Wetter zur Illustration der ärmlichen Verhältnisse der Unterschichten in Berlin um 1912 geradezu bestellt.«
Rausch der Kostüme
Andere lobten: »Ein Rausch der Kostüme, da haben Monika Seidl und ihr Team ganze Arbeit geleistet.« »Der Bühnenbau ist genial – jede Drehung bedeutet einen Wechsel der Klassen.« »Die Kreativen und das Ensemble der Burgfestspiele haben dem klassischen Stoff einen Frischekick gegeben«. »Das Ganze kommt von den Dialogen über den tollen Gesang bis hin zu den schwungvollen Choreografien ganz natürlich daher, als sei es spontan und aus dem Moment heraus entstanden.«
Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Hinter »My Fair Lady« zwischen gestern und heute, zwischen London, Bad Vilbel und Berlin stehen Monate intensiver Konzeptions- und Probenarbeit, zumal nicht nur die zehn Musiker unter der Leitung von Philipp Polzin und das Tanzensemble (Dance Captain: Rita Correia), sondern auch der Bad Vilbeler Chor Belvoce mit den Darstellern koordiniert werden mussten.
Dies alles gelingt mit virtuoser Leichtigkeit, der berühmte Funke sprang vom ersten Moment an auf das Publikum über. Jede einzelne Arie mit den beliebten Musical-Songs von Frederick Loewe wurde beklatscht, ebenso jede choreografische Einlage. Es gab Szenenapplaus für Eliza, für Henry Higgins’ Hausdame Mrs. Pearce (Annette Lubosch), die das Blumenmädchen unter ihre Fittiche nimmt, und für seine Mutter Mrs. Higgins (Sonja Herrmann), die ihren stock-konservativen Sohn mit erfrischend innovativen Ansichten verwirrt.
Nach der Pause nahm das ohnehin rasante Bühnengeschehen noch einmal Fahrt auf, kristallisierten sich die unterschiedlichen Positionen von Higgins und seinem Wettpartner, Oberst Pickering (Kai Möller), heraus und trat der verliebte Freddy Eynsford-Hill (Bosse Vogt) als Eifersuchtsfaktor auf den Plan. Er errichtete ein Igluzelt vor Higgins’ Haus, nur um einen flüchtigen Blick auf Eliza werfen zu können. Das Zelt war bei Weitem nicht der einzige gewollte Stilbruch und Grund für Heiterkeit beim Publikum. Vielmehr prägten Witz und Ironie, auch bezüglich der Borniertheit und Selbstgefälligkeit der Upper Class, die Inszenierung.
Imaginäres Pferderennen
Wundervoll die opulente Ascot-Szene, in der das elegant gekleidete Publikum das imaginären Pferderennen im Zuschauerraum nur durch die synchrone Bewegung aller Augen und der Gesichter andeutet. Dynamisch und den hochkochenden Emotionen entsprechend sind die vielen von Sprachkaskaden begleiteten Verfolgungsjagden im Bühnenrund. Im Showdown zeigt sich Eliza selbstbewusst und würdevoll, Henry Higgins wiederum wird zum verbissenen Unsympath, der viel zu lange innerhalb der engen Mauern verharrt, die er um sein Herz gezogen hat. Ob es trotzdem ein Happy End gibt, das sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Von Inge Schneider

Tickets und Termine
Weitere Aufführungen gibt es vom 17. Juli bis 22. Juli täglich ab 20.15 Uhr, zusätzlich am Sonntag, 23. Juli, ab 18.15 Uhr, sowie im August und September. Tickets gibt es im Kartenbüro, Klaus-Havenstein-Weg 1, Telefon (0 61 01) 55 94 55.