Ich habe neulich folgende Geschichte gelesen: „Einmal, als der liebe Gott wieder über die Erde wandelte, bat er an einem bitter kalten Dezemberabend den reichen Mann um ein Nachtlager in seiner Villa. Wie die meisten Menschen kannte der reiche Mann nur seinesgleichen. Aber an diesem Abend hatte er Zeit, Lust und Raum und lud den lieben Gott, den er nicht kannte, herzlich in sein Haus. Er tischte reichlich auf und gedachte ihm später ein Nachtlager zu zeigen. Der liebe Gott, erstaunt über die unerwartete Wendung im Ablauf dieser alten Geschichte, bedankte sich erfreut. Er gab sich zu erkennen und erzählte von den alten Zeiten: Wie er, der Geschichte folgend, immer beim armen Mann habe einkehren müssen – als gäbe es nur Arme auf der Welt – und dass dies doch sehr ärmlich gewesen sei. Nun aber wolle er, nachdem die Geschichtenerzähler ihm einmal hätten ein anderes Los zufallen lassen, genießen, was ihm vorgesetzt worden und als Nachtlager angeboten worden sei. So feierten der reiche, arme Mann und der arme, reiche Gott einen richtig angenehmen und anregenden Winterabend.“ Man möchte sofort sagen: „Wie kann das sein? So ist es doch nicht vorgesehen, dass Gott bei dem reichen Mann einkehrt. Ist dem reichen Mann nicht die Rolle des verstockten Geizkragens zugewiesen? Muss es nicht der arme Mann sein, der am Ende wegen seiner Gastfreundschaft und Gottesfurcht gerühmt wird?“ An diesen Fragen merkt man, wie wir uns auch in religiösen Dingen am liebsten in gewohnten Bahnen bewegen. Wir rechnen gar nicht mit Überraschungen. Glaube, so denken wir, ist etwas für die „Armen“. Für die, die alleine nicht zurechtkommen und eine Stütze im Leben brauchen. Was aber wäre, wenn Gott nicht nur bei uns klopft um sofort darauf bei unserem „armen“ Nachbarn einzutreten? Was, wenn er tatsächlich bei uns einkehren wollte? Was, wenn das Drehbuch unserer Lebensgeschichte diesen ganz unerwarteten Schwenk bereithalten würde? Ich bin davon überzeugt: Es sind nicht nur die anderen, die üblichen Verdächtigen, bei denen Gott zu Gast sein will. Gott will auch denen begegnen, die in der Mitte des Lebens stehen, wie Dietrich Bonhoeffer es einmal gesagt hat. Gott will nicht nur bei denen ankommen, die am Rand stehen, sondern auch bei denen, in deren Leben vieles gut läuft und Zufriedenheit herrscht. Ich möchte ihnen Mut machen, außerhalb der gewohnten Bahnen zu denken, denn vielleicht sind Sie es ja, bei dem es in diesem Advent heißt: „Siehe ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun wird, zu dem werde ich hineingehen.“ (Offenbarung 3, 20)
Jens Martin Sautter
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel