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Kyrill war ohne Gnade – Bäume entwurzelt, Autos zusammengedrückt und Verkehr lahm gelegt

Bad Vilbel / Wetterau /Main Kinzig. Ihr Nachthemd hatte sie gerade angezogen, sich im Bad frisch gemacht. Als Anneliese Schnell (75) in der Tür zum Schlafzimmer stand, brach die Decke über dem Bett ein. „Ich hörte das Krachen und ihre Schreie“, berichtet Ehemann Otto (63). Er lief hinauf in den ersten Stock zu seiner Frau: Eine 25-Meter-Tanne hatte das Dach des Hauses in der Homburger Straße mitten in Karben durchschlagen. Anneliese und Otto Schnell kamen wie die meisten Menschen wenigstens körperlich unverletzt davon, als Orkan Kyrill in der Nacht zu Freitag über Wetterau- und Main-Kinzig-Kreis hinweg zog.

Mehr als 3000 Hilfskräfte waren in dieser Nacht mit Retten und Aufräumen in der Wetterau beschäftigt. Die Feuerwehren zählten in der Wetterau mehr als 300, im Main-Kinzig-Kreis fast 500 Einsätze. 230 Notrufe gingen bei der Rettungsleitstelle in Friedberg ein, berichtet Kreisbrandinspektor Otfried Hartmann.

In der Wetterau richtet Kyrill vor allem im südlichen und östlichen Kreisgebiet Schäden an. 21 Straßen blieben teils die ganze Nacht über gesperrt, weil umgestürzte Bäume die Fahrbahnen blockierten. Im Main-Kinzig-Kreis waren es 30 gesperrte Straßen.

Feuerwehren und Straßenmeistereien retteten aus Sicherheitsgründen lediglich die zwischen umgestürzten Bäumen eingeschlossenen Menschen und ließen das zu gefährliche Beseitigen von Bäumen und Trümmern zunächst bleiben.

Vor allem herabgefallene Ziegel und umgestürzte Bäume führten zu 27 Einsätzen der Feuerwehr in Bad Vilbel und 21 in Karben.

Zwischen umgestürzten Bäumen wurde am Abend eine Regionalbahn zwischen Heldenbergen und Eichen „gefangen“. Der Zugführer des Stockheimer Lieschens konnte noch vor dem ersten Hindernis stoppen, dann aber nicht mehr zurück, weil auch hinter dem Zug Tannen umstürzten. „Als der Zugführer uns alle in ein Abteil beorderte, war mir schon ein wenig mulmig zumute“, berichtet Fahrgast Henrik Lange. Die Feuerwehr schnitt die Strecke für den Zug frei.

Das Stromnetz der Ovag hielt Orkan Kyrill ganz gut stand. Lediglich einige Ortsteile von Ranstadt waren durch beschädigte Freileitungen zwischen 20 und 22 Uhr ohne „Saft“, berichtete Ovag-Sprecher Andreas Matlé.

Bevor der S-Bahn-Verkehr am Donnerstagabend eingestellt wurde, war für die Fahrgäste der S-Bahn S 6 in Dortelweil Endstation. Ein großer Ast war auf die Oberleitung gestürzt, legte den Zugverkehr auf der Strecke Frankfurt – Gießen lahm. Die Passagiere wurden laut Feuerwehr mit Bussen zum Bahnhof Bad Vilbel gebracht.

Den Weihnachtsbaum auf dem Vilbeler Biwer-Kreisel legte der Orkan glatt um. Die Feuerwehr beseitigte ihn und zahlreiche weitere Bäume im Stadtgebiet. Zeitweise mussten dafür Straßen gesperrt werden.

Im Okarbener Industriegebiet Spitzacker hob der Orkan das Flachdach eines Bürogebäudes aus den Angeln, schleuderte es auf das Dach des benachbarten Autohauses. Die Feuerwehr sicherte in der Nacht die Trümmer, wie Stadtbrandinspektor Thomas Bier berichtete. Den Mitarbeiterinnen im Immobilienbüro direkt unterhalb des fehlendes Daches war es mulmig zumute. „Wollen wir hoffen, dass kein Wasser reinkommt“, sagte Marion Fich (42). In Groß-Karben, Kloppenheim und andernorts erfassten die heftigen Orkanböen Autos, drückten Fahrzeuge gegeneinander oder von der Straße. Mehrere Menschen wurden dabei verletzt. (jwn)