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Liebe, Leid und Toleranz – Alles begann in Rehovot • Hannah und Rafael Zur feiern goldene Hochzeit

Bad Vilbel. Es ist ein bewegtes Leben, auf das Rafael und Hannah Zur nach 50 Ehejahren zurückblicken können. Ihr gemeinsamer Weg begann 1956 auf einer israelischen Landstraße bei Rehovot, nahe Tel Aviv. Dort war Zur mit seinem Milchlaster unterwegs, als er eine Anhalterin erspähte: „Ein schönes Mädchen mit blondem Zopf.“ Er brachte sie nach Hause, fragte gleich, ob sie einen Freund habe. „Ich war nicht frech, aber sicher“, erinnert er sich in trauter Runde mit den Parteifreunden von der SPD sowie mit dem Magistrats-Gratulanten und Ersten Stadtrat, Jörg Frank (CDU).

„50 Jahre, das ist kein Tag, wir sind einen schweren Weg gegangen“, erinnert er sich. Dieser begann für den Juden Rafael Zur 1933 im rumänischen Jassy, aus dem er 1941 vor dem Pogrom flüchten konnte. Die Mutter stammte aus einer gläubigen jüdischen Familie und der Großvater war Rabbiner gewesen. Zehn Jahre alt war Rafael Zur, als seine Familie 1943 vor der drohenden Deportation durch die Nationalsozialisten nach Ungarn fliehen musste. Doch auch dort gerieten sie in die Fänge der deutschen Okkupanten. Die Mutter wurde zu einem Arbeitseinsatz verschleppt, der Vater und die Kinder landeten in Deportationszügen, die auf ihrer Fahrt durch die Kriegsgebiete im Balkan bombardiert wurden. Irgendwo zwischen Linz und Triest beendeten die Alliierten die gespenstische Odyssee.

Zur kam 1945 in ein Flüchtlingslager nach Frankfurt-Zeilsheim, traf seine im KZ internierte Mutter wieder, die nur noch 32 Kilo wog. Dennoch ging es rasch aufwärts, später in Lampertheim mit dem väterlichen Bäckerladen. Der junge Rafi erinnert sich an glückliche Jugendtage und an das BMW-Motorrad, mit dem er 1948 schon als 18-jähriger Schüler auftrumpfen konnte. Seine Mutter wollte aber nach Israel. Dorthin zog er 1951, wie zuvor sein Bruder. In der Armee verbrachte er 24 Jahre. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 änderte Zurs Einstellung. Er wollte wieder nach Deutschland zurück.

Sein Sohn Amir nahm ihm die Auswanderung übel, habe ihn damals „Verräter“ genannt, erinnert sich Zur. Mit 45 sei er als Rentner aus der israelischen Armee ausgeschieden. Nach Bad Vilbel, „eine hübsche Stadt“, verschlug es ihn 1978 eher durch Zufall. Eine langjährige Haushaltshilfe habe hier gelebt. Hier gründete er 1982 die Jüdische Gemeinde, setzte sich für den Kauf der Synagoge durch die Stadt ein. Das Gebäude in der Frankfurter Straße 97 ist Privatbesitz. Vor zwanzig Jahren sei der Ankauf durch die Stadt geplatzt, nun kümmere das Vorhaben niemanden mehr.

Doch Zur blickt nicht zurück im Zorn, sondern nach vorne. „Das ganze Leben ist Toleranz“, beantwortet er die Frage nach dem Rezept für lange gemeinsame Ehejahre und auch für sein politisches Engagement in Bad Vilbel. Da war er zehn Jahre lang SPD-Stadtverordneter, initiierte unter anderem die „Stolpersteine“ zur Geschichte jüdischer Bürger.