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Richtig oder falsch entschieden? – Große Verärgerung im Rathaus über das Urteil des Verwaltungsgerichtes – Frank: Keine Distanzierung von Richterkritik

Das Verwaltungsgericht (VG) Gießen hat die Äußerungen der Opposition, die Stadt Bad Vilbel habe durch nachträglich veränderte Kaufverträge zugunsten des Investors Zinsverluste erlitten, als „politisch hinzunehmende Werturteile“ qualifiziert. Dieses Urteil hat der enttäuschte Stadtrat Klaus Minkel (CDU) kritisiert. Er warf dem Gericht Untätigkeit gegen „ehrabschneiderische Lügen“ vor und verglich den Richterspruch mit den maroden Zuständen in der Weimarer Republik. Enttäuscht war auch Rathauschef Stöhr. Das Gericht habe es sich „zu leicht gemacht“, urteilte er. Ob – wie vom VG Gießen zugelassen – Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingelegt werde, hänge von der schriftlichen Begründung des Urteils ab, die noch aussteht.

Bad Vilbel. „Das Gericht wertete die Stellungnahmen von SPD und Grünen als Äußerungen im Bereich der Politik, die nicht justiziabel seien. Daraus könnte man den Leitsatz ableiten, in der Politik seien ehrabschneiderische Lügen erlaubt und dagegen gebe es keinen

Unterlassungsanspruch. Da denkt man sofort an das alte russische Sprichwort: Faules Gericht ist schlimmer als Raub. So wurde bereits die Weimarer Republik zerstört, indem man denen, die sich für die Allgemeinheit eingesetzt haben, den Schutz gegen ehrabschneidende, wahrheitswidrige Behauptungen verweigerte. Im konkreten Fall ging es um den Vorwurf, die Stadt habe grundlos erhebliche Zinszahlungen nicht eingezogen (Untreue)“, erklärte Klaus Minkel.

Nach Ansicht der Sozialdemokraten sei seine Rüge des Gerichts „völlig überzogen und unangemessen“, erklärten Bad Vilbels SPD-Vorsitzender Udo Landgrebe, SPD-Fraktionsführer Walter Lochmann und sein Stellvertreter, Carsten Hauer. Es sei „das gute Recht“ des Magistrats, sich über die Niederlage zu ärgern, aber Stadtrat Minkel überschreite ihrer Meinung nach „eine Grenze“. Die SPD erwarte daher vom Magistrat sowie von den Fraktionen der CDU und FDP, dass sie sich von Minkels Äußerungen, die er offenkundig als Vertreter der Stadt gemacht habe, distanzierten. Lochmann und Landgrebe erwarten zudem auch „ein deutliches Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Gerichte und der dort tätigen Richterinnen und Richter“. Die SPD habe „von Anfang an gesagt, dass es sich um eine politische Bewertung im Rahmen des Akteneinsichtsausschusses handelte“. Es sei „auch falsch, dass die SPD-Fraktion den Verantwortlichen der Stadt Untreue oder andere Straftatbestände unterstellt oder sonstige ,ehrenrührige Vorwürfe’ erhoben habe“, so die Genossen einhellig.

„Es steht der Vorwurf im Raum, die Stadt habe grundlos Zinszahlungen nicht eingezogen, was Untreue wäre. Es wird erheblicher ,Interpretationskünste’ des Gerichts bedürfen, um zu begründen, warum die Aussage ,die Humanistische Stiftung schuldet für die Periode vom 11.11.2009 bis 10.11.2010 den Betrag von 156.800 Euro, der unverzüglich seitens der Stadt anzufordern ist’ nur eine Meinungsäußerung sei und keine Tatsachenbehauptung“, gab Minkel zu bedenken Es sei aber zugleich bezeichnend „für die Wirksamkeit der gewählten Verleumdungstaktik, dass nach dem Prozess eine Reporterin ernstlich fragte, ob inzwischen (die nicht bestehende!) Zinsforderung eingezogen sei. Das macht erschreckend die Sinnhaftigkeit der Aussage deutlich: Es ist nicht das was ist, sondern was berichtet wird. „

Jörg Frank, Erster Stadtrat, Jurist und Bad Vilbeler Rechtsdezernent, machte in seiner Eigenschaft als Vize-Vorsitzender der CDU Bad Vilbel am Montag klar, dass es „keine Distanzierung“ von den Äußerungen Minkels gebe. Frank: „Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Gießen wegen der von SPD und Grünen diffamierenden Behauptungen ist aus zwei Gründen falsch: Zum einen, weil die Behauptung der nicht rechtzeitig eingezogenen Forderungen eine Tatsache und kein Werturteil ist und zum anderen, weil das VG die Auswirkungen seines Urteilsspruches verkennt und damit dem Ehrenamt im kommunalen demokratischen System insgesamt schadet.“

Bisher habe laut Frank der Konsens gegolten, dass die Meinungsfreiheit auch im politischen Raum ihre Grenze in der Schmähkritik finde. „Kann es für Menschen schlimmere Schmähungen geben, als wenn sie öffentlich mit Straftaten (hier: Untreue) fälschlich in Verbindung gebracht werden?“, so Frank. Man wisse ferner, dass solche Behauptungen in Zeiten des Internet „ein langes Leben haben“ und noch Jahrzehnte später im Netz abrufbar bleiben, ohne dass sich die Betroffenen dagegen wehren könnten. Die Schmähungen seien „also nicht mehr wieder gut zu machen“, daher sei es nicht wegzuleugnen, „dass die Äußerungen von SPD und Grünen dauerhafte schwerwiegendste Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen darstellten.“ Das dürfe nicht hingenommen werden, fordert er. Behauptungen, die das Persönlichkeitsrecht verletzen, müsse „ein rechtlicher Riegel vorgeschoben werden“, so Franz, weil sonst dem kommunalen demokratischen System Schaden zugefügt würde.

Wie wolle man eigentlich Menschen überzeugen, ihre Zeit, ihr Geld und ihre Kraft ehrenamtlich in die Verwaltung und Führung einer Stadt zu investieren, wenn sie als „Dank“ der öffentlichen Schmähung ausgesetzt seien, gibt Frank mit Blick auf den ehrenamtlich tätigen Stadtrat Klaus Minkel zu bedenken und fügt hinzu: „Und wie erklären wir es diesen Menschen, dass sie öffentlich als Straftäter dargestellt werden dürfen, sich das in Zeitungen und dem Internet für immer wiederfindet und beim beruflichen oder persönlichen Wechsel das von jedermann ohne weiteres über Internet-Suchmaschinen mit allen Konsequenzen recherchierbar ist?“ Politiker aller Parteien würden wissen, wie schwer es jetzt schon sei, vor allem jüngere Menschen von der Notwendigkeit der Mitarbeit in politischen und kommunalen Gremien zu überzeugen und es sei „bekannt, dass die politische Tätigkeit im öffentlichen Ansehen keinen hohen Stellenwert genießt. Jetzt soll noch hinzukommen, dass jeder einer Straftat bezichtigt werden darf“, fragt Franz entrüstet und fordert die SPD auf, „ihre Skandalisierung“ zu mäßigen. In den Äußerungen von Stadtrat Minkel „finden sich keine Beleidigungen des Gerichts, denn solche Äußerungen sind Werturteile, die eindeutig von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sind“. Den Genossen hält Frank vor, sie würden „wie immer mit zweierlei Maß“ messen. Bliebe das VG-Urteil so bestehen, dann müssten „nicht nur Politiker, sondern auch Richter künftig Kritik bis hin zur Schmähkritik ertragen“, folgerte er.

Auch die Grünen seien nach Ansicht des CDUlers Frank „im Austeilen spitze“, hätten aber schlechte Nehmerqualitäten und seien „alles andere als sensibel“ gewesen, als sie die „Möglichkeit sahen, über falsche Tatsachenbehauptungen die Magistratsmitglieder als Straftäter darzustellen“, so Frank.

„Die Vilbeler SPD beanspruche die Meinungsfreiheit für sich bis an den äußersten Rand und vielleicht darüber hinaus. Das gleiche Maß an Meinungsfreiheit gesteht sie aber Stadtrat Minkel überhaupt nicht zu und empört sich stattdessen lauthals über Minkels ebensolche Meinungskundgabe“, stellte FDP-Fraktionsmitglied und der Vorsitzende der Bad Vilbeler Liberalen, Kai König, fest. Seiner Ansicht nach eigne sich die SPD-Kritik „daher kein bisschen, um hier irgendwas zu skandalisieren. Eher falle sie auf die SPD selbst zurück, die erstmal vor ihrer eigenen Haustür kehren sollte“, so König.

Minkels Kritik an der 8. Kammer des VG Gießen („Faules Gericht ist schlimmer als Raub“ und sein vergleichender Hinweis auf die maroden Zustände in der Weimarer Republik) wird keine juristische Folgen haben. „Von unserer Seite wird da nichts kommen“, so Sabine Dörr, Pressesprecherin des VG. „Eine Klage wäre der Bedeutung dieser Sache nicht angemessen.“ Richter müssten „damit leben, dass es von Unterlegenen auch unangemessene Statements geben“ könne, erklärte sie.

Die Urteile Az.: 8 K 2614/11.GI und 8 K 3461/11.GI sind noch nicht rechtskräftig.