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Tod in der Wüste

Historiker spricht über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich

Rolf Hosfeld referiert in der Stadtbibliothek den Völkermord an den Armeniern in der Türkei zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Foto: Kurt Sänger
Rolf Hosfeld referiert in der Stadtbibliothek den Völkermord an den Armeniern in der Türkei zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Foto: Kurt Sänger

Der Kulturhistoriker und Journalist Rolf Hosfeld sprach vor etwa 50 Zuhörern in der Stadtbibliothek Bad Vilbel über eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der heutigen Türkei – den Völkermord an den Armeniern und die Verwicklung des Deutschen Kaiserreiches.

Bad Vilbel. Der französische Chansonnier Charles Aznavour gehört zu den prominentesten Armeniern. Weltweit hat sich der Sänger und Entertainer einen Namen gemacht. Auch in der Bundesrepublik hat er ein großes Publikum, unter anderem als Schauspieler in der von Volker Schlöndorff verfilmten „Blechtrommel“ von Günter Grass.

Aber hinter Aznavour steht Schahnur Waghinak Asnawurjan, der 1924 als Sohn armenischer Exilanten in Paris geboren wurde und heute als armenischer Botschafter in der Schweiz und bei den Vereinten Nationen in Genf akkreditiert ist. Seine Eltern fanden einst Zuflucht im französischen Exil, um dem Völkermord in den ersten Weltkriegsjahren 1915/16 in der Türkei zu entfliehen.

Aber wer denkt schon an den Völkermord der Armenier, wenn er die rauchige Stimme von Chrales Aznavour hört? Rund 1,1 Millionen Armenier wurden deportiert, massakriert und systematisch hingerichtet.

Das geraubte Vermögen wurde 1919 auf der Friedenskonferenz in Paris auf 7,9 Milliarden Franc geschätzt. „Dies war der erste Genozid im 20. Jahrhundert“, sagt Hosfeld, der im „Rahmen der Bündnispolitik zwischen dem Osmanischen Reich und des militärischem Extremismus und wilhelminischen Chauvinismus begangen wurde“.

Vor den Augen der Welt wurden diese Verbrechen ausgeführt, erläutert Hosfeld

Systematisch ermordet

Und weiter führt er aus: Doch die damalige Diplomatie folgte den Kriegsinteressen. Die Massaker an den Armeniern galten als Angelegenheit des Osmanischen Reiches. Trotz aller zum Teil detaillierter Kenntnis der Gräueltaten wurden jedoch die offiziellen Verlautbarungen der Türken diplomatisch akzeptiert, und „die Presse hatte die Klappe zu halten. „Die Duldung dieser Verbrechen wurde im sozialdarwinistischen Wilhelminismus den höheren Interessen als hart, aber nützlich untergeordnet“, sagt Hosfeld.

Und seitens des Osmanischen Reiches wurde der Erste Weltkrieg genutzt, „um kollektiv ethnische Säuberungen durchzuführen und politische Feinde zu vernichten“. Die Armenier zählten und zählen zu den ersten christlichen Glaubensgemeinschaften im Orient. Ihre armenisch-apostolische Kirche gilt als altorientalische Religion türkischer und armenischer Christen. Sie ist einer der ältesten christlichen Staatskirchen seit dem zweiten Jahrhundert.

Als eigenständige Glaubensgemeinschaft wurde und wird sie immer noch nicht durch den Vatikan vertreten. „Das ist heute noch ein Tabu-Thema in der Türkei“, sagt Hosfeld, aber in den Zentren und in den Universitäten in der Türkei werde die Armenier-Frage inzwischen öffentlich debattiert. Eine Öffentlichkeit, die in der Türkei seitens der muslimisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) des derzeitigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Argwohn betrachtet werde.

Denn sie „kratzt gewaltig am heroischen Erbe der Türkei“. Eine Debatte, die auch die Bundespolitik erreicht habe, wenn auch mit Abstrichen. So habe Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert den Genozid der Armenier öffentlich als einen „Völkermord“ bezeichnet.

Lepsius-Haus

Doch im Bundesaußenministerium herrsche eher eine politische Zurückhaltung vor. „Das alles ist aber seit 100 Jahren deutsches Regierungswissen“, kritisiert Hosfeld die gegenwärtige deutsch-türkische Diplomatie.

Der promovierte Historiker und Kulturwissenschaftler leitet seit 2011 das Lepsiushaus in Potsdam. Es ist eine deutsch-armenisch-türkische Begegnungsstätte, deren Gründung auf den Theologen und Orientalisten Johannes Lepsius (1858 – 1926) zurückgeht. Ziel dieser Einrichtung ist es, Seminare, Ausstellungen und Veranstaltungen zu schaffen. In diesen sollen Armenier, Türken und Deutsche an „Perspektiven der Versöhnung und der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft zusammenarbeiten.“


In seinem 2015 im C. H. Beck Verlag erschienenen Buch „Tod in der Wüste – der Völkermord an den Armeniern“ geht Rolf Hosfeld den Spuren des Verbrechens nach. Anhand von Zahlen, Dokumenten, Depeschen der Diplomaten und Augenzeugenberichten belegt er den grauenvollen Völkermord im Osmanischen Reich in den ersten Weltkriegsjahren zwischen 1915 und 1916.