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Wo wir gerade so alleine sind … – Das Wort zum Sonntag

He – Hallo, Leserin, hallo, Leser, darf ich Sie kurz ansprechen, wo wir gerade so alleine sind? Ich muss etwas loswerden, Ihnen etwas erzählen. Woher ich weiß, dass Sie alleine sind? – Wer liest denn so ein Wort zum Totensonntag öffentlich? Also, mal ehrlich: die meisten von uns ziehen sich mit ihrer Trauer und ihren Ängsten und Fragen zurück. Wir tragen erst einmal unsere Dunkelheit mit uns selbst aus. Meine Trauer um geliebte Menschen und um verlorene Hoffnungen, meine Trauer und Angst um mich, meine Fragen über das, was bleibt und wo denn da ein Sinn ist. Ach ja, ich wollte Ihnen etwas erzählen…

Vor ein paar Monaten war es, da erreichte mich abends die Nachricht vom Selbstmord einer lieben Freundin; knapp 40 war sie, und sie hat ihre Depressionen nicht mehr ausgehalten, sie „war nicht mehr zu retten…“ Ich konnte lange nicht einschlafen, wachte früh in der Dunkelheit auf und versuchte auf der Terrasse zu Luft und Ruhe zu kommen. Durch die Bäume schimmerte das gelbliche Licht der Straßenlaterne. Die Äste und Blätter malten auf den Boden vor mir unruhige Schatten. Ich konnte die Schatten lesen, es waren meine Gedanken: Warum? Und: Habe ich versagt? Fehlte ein Wort, eine Geste? Und: Warum hat der, den ich Gott nenne, nicht eingegriffen? Und: Was ist jetzt mit ihr, die Hand an sich selbst gelegt hatte. Ist sie bei anderen Toten, ist da anderes Leben, ist da vielleicht nur … Nichts? Und was bleibt? Und was wird sein – mit mir, mit denen, die ich liebe und liebte?

Etwas Wind kam auf, die Schatten und meine Gedanken tanzten unruhiger. Irgendwie musste ich wohl eingenickt sein, denn plötzlich waren die Schatten schwächer geworden…? Ich erwachte, die aufgehende Sonne hatte das Laternenlicht verschluckt. Die irrlichternden Gedankenschatten waren blass im Hintergrund verschwommen.

Ein Gedanke formte sich in mir: Was, wenn Menschen wie das Licht einer Laterne nicht im Dunkel verschwinden, sondern mit dem Erlöschen des eigenen Lebens in ein größeres, starkes Licht gehen. Was, wenn meine, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingebettet werden in ein ungleich größeres, zeitloses Geborgensein. Wenn nichts verloren ist, sondern von einem anderen Sein überstrahlt wird? Wenn ein Licht mein Schicksal versöhnt? Wenn der verborgene Sinn von scheinbar Bedeutungslosem deutlich wird? Wenn in diesem Licht wir alle, die waren und sind und sein werden uns mit unseren Geschichten und Schicksalen berühren und anrühren? Wenn meine Dunkelheit klar wird, das wäre die Erlösung, für mich, für die, die ich liebe, für alle…

Ich schüttelte meinen Kopf: Darf ich als Pfarrer so etwas denken? Wo bleibt denn da das fromme Leben und Sterben? Ist das wirklich so aufzulösen? Und dann fiel mir beim späteren Bibellesen ein merkwürdiges Zitat in die Hände. Da schreibt Paulus in seiner großen Vision von der Auferstehung: „Einen anderen Glanz hat die Sonne, einen anderen Glanz hat der Mond, einen anderen Glanz haben die Sterne; denn ein Stern übertrifft alle andern an Glanz. So auch die Auferstehung der Toten….“ (Nachzulesen im 1. Korintherbrief, Kap. 15, Vers 41 f.)

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit, Hoffnung auf das Licht, Ihr

Pfarrer Werner W. Krieg,

Massenheim